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rechtes. Der Satz, dass nichts in Preussen angeordnet werden
darf, wozu der Landtag direkt oder indirekt seine Zustimmung
gegeben hat, ist aber, sowenig er in der Verfassung enthalten
ist, ebensowenig Bestandtheil unseres positiven Staatsrechts ge-
worden. Wer einerseits behauptet, dass die Krone alle ihr nicht
entzogenen Rechte hat, dass andererseits aber sie nur die ihr
ausdrücklich eingeräumten und keine anderen Verordnungsbefug-
nisse habe, widerspricht sich selbst. Er gleicht jenem einst
typischen Berliner Altbürger, der zu sagen pflegte, er sei stets
für Bismarck, aber er wähle stets Virchow.
Wenn es selbst richtig wäre, dass nach meiner Theorie das
bürgerliche Recht im Verordnungswege geregelt werden könnte,
was nicht der Fall ist wegen Art. 86, so folgt daraus für oder
wider diese Theorie Nichts, da das bürgerliche Recht politisch
ganz gleichgültig ist, und es also erklärlich sein würde, wenn
man 1848—1850 nicht daran gedacht hat, es ausdrücklich dem
Verordnungswege zu entziehen. Uebrigens bezeugt Stau, 3. Aufl,,
Bd. II S. 388, dass z. B. in Mecklenburg bürgerliche Gesetze
„gleichgültige Gesetze“ von diesem Standpunkte aus genannt
wurden, ferner 1846, dass die öffentliche Meinung (er nicht) da-
mals forderte, die Richter sollten nur Gesetze und nicht die
selbständigen Verordnungen anwenden. Die von STAHL be-
kämpfte öffentliche Meinung hat hierin, wie überhaupt in der
Lehre der Trennung der gerichtlichen von der vollziehenden
Gewalt (Art. 49 Abs. 3), den Erfolg davon getragen (Art. 86).
In der 3. Aufl. 1856 erkennt Staat II. Abth. S. 601 an, dass
der Richter nur dem formellen Gesetze, nicht der Verordnung
unterworfen sein soll: „Der oberste Grundsatz für die Einrich-
tung der Gerichte ist ihre Unabhängigkeit vom Souverän. Er
ist die erste Bürgschaft für wahre Rechtspflege, die Basis aller
Gerechtigkeit. Dies folgt zunächst daraus, dass hier nicht der
Geist und die Persönlichkeit des Herrschers, der den Erfolg für
das Ganze im Auge hat und danach sich frei entschliesst, ent-