— 252 —
„die obrigkeitliche Gewalt verkörpert sich in der Person des
Beamten. Der Staat ist daher verpflichtet .. .“ Danach er-
wartet man eigentlich eine primäre Haftpflicht. Sie soll aber
eine sekundäre sein, „da die Beschädigung in erster Linie durch
das pflichtwidrige Verhalten des Beamten veranlasst wurde“.
Sehr bedenklich ist es auch, die Haftpflicht von der Gehorsams-
pflicht oder dem eventuellen aktiven Widerstandsrecht der Unter-
thanen abhängig zu machen, wodurch denselben die feinsten
juristischen Unterscheidungen zugemutet werden. Man ersieht
aber daraus, dass es sich viel mehr um den „Zwang“ (im Gegen-
satz zum „freien Belieben“ des Dritten beim Abschluss von
Rechtsgeschäften mit dem Staat) als um die Rechtswidrigkeit
handelt, obwohl diese zum Schluss als eigentlicher Grund an-
geführt wird. Anders ausgedrückt heisst die ganze Konstruktion:
Sobald der Staat zwingt, soll er auch für den dabei unterlaufen-
den Schaden wenigstens garantieren.
GIERKE°? ergiebt sich die Lösung der Frage als ein aus
dem Wesen der Körperschaft als einer nicht bloss rechts-, son-
dern auch willens- und handlungsfähigen realen Gesamtperson
folgendes Prinzip: Eine Gesamtperson begeht diejenigen schuld-
haften Handlungen und Unterlassungen, die ein verfassungs-
mässiges Organ als solches im Bereich seiner Zuständigkeit be-
geht. In der von der älteren Theorie gemachten Unterscheidung
zwischen Handlungen der „universitas ipsa® und der ihrer Ver-
treter, wobei sie nur das Verschulden solcher Organe, in denen
sie eben die universitas zu erblicken glaubte, direkt der Gesamt-
heit zuschrieb, das rechtswidrige Verhalten der als Vertreter
aufgefassten Organe dagegen erst durch eine Mitschuld der uni-
versitas auf die juristische Person zurückfallen liess, sieht GIERKE
den Grund für die Unsicherheit und die Schwankungen bei der
Lösung unserer Frage. Aus jenem Fehler heraus sei jene
® Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtssprechung 1887
4. Kap. — Deutsches Privatrecht 1895 Bd. I $ 61.