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tischen Ansprüche durchgeführt worden ist, gleichsam wie zwei
Motive, die mit einander zu einer höheren Einheit harmonisch
verbunden sind, ohne dass ihre Antithese verschwindet“*!. Jedoch
das deutsche Volk, welches in vielen und nicht den schlechtesten
seiner Angehörigen oft genug die Missstände und Reibungen
dieses „juristischen Kunstwerks® zu verspüren bekommen hat,
muss vom politisch-praktischen Standpunkte unbedingt an die
Fertigstellung der verfassungsmässigen Einheit auf militärischem
Gebiet herantreten. Wenn man wohlmeinend aber allzu zaghaft
diesen Schritt seither nicht gethan hat, so darf heute keinen
Augenblick mehr gezögert werden, wo thatsächlich ein kaiser-
liches Heer im fernen Osten Seuche und Tod pflichtgetreu ins
Auge blickt, während wir zu Hause trotz aller Neigung zum
Theoretisieren nicht den Mut haben, das staatsrechtliche Wesen
dieser Truppen zu ergründen, während in der Reichshauptstadt
und ausserhalb unseres politischen Mittelpunktes die verbündeten
Regierungen und die Volksvertretungen, Parteien und Gelehrte
sich ängstlich hüten, die Definition der von den überstürzenden
Ereignissen geschaffenen Einrichtung zu geben und ehrlich und
freudig zu bekennen: Wir haben ein kaiserliches Heer!
Es kann nicht der Zweck dieses Aufsatzes sein, die ver-
schiedenen Theorien über das Wesen unserer Heeresverfassung
zu vermehren, zu versöhnen oder zu wiederholen, sondern ich will
bloss den Nachweis versuchen, dass der gegenwärtige thatsächliche
Zustand auf einer Stockung im Werdegang unserer Einheit be-
ruht, die teilweise dem bestehenden Recht nicht entspricht und
mit gutem Willen überwunden werden kann. Wenn die Littera-
tur diesen Gesichtspunkt vielleicht noch nicht genügend hervor-
gehoben hat, so rührt dies daher, dass man trotz aller Be-
mühungen, die historischen Ursachen als wichtigste Grundlage zu
würdigen, gerade die Entstehungsgeschichte der einschlägigen Be-
! LaBanD, Staatsrecht 3. Aufl. II S. 489,