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hause die Aussicht auf abermalige Erweiterung seiner Befugnisse
verschafft. Sicherlich würde in den anderen Bundesstaaten, deren
Truppen heute zum preussischen Kontingent gezählt werden, die
Errichtung des kaiserlichen Heeres mit warmer Genugthuung be-
grüsst werden. Denn es lässt sich nun einmal nicht bestreiten,
dass die Imponderabilien eine grosse Rolle spielen. Ein Kenner
süddeutscher Verhältnisse wird kein Wort über den Unterschied
verlieren, ob in Baden und Hessen das Reich oder Preussen
Hoheitsrechte ausübt. Die ernsten Hindernisse der Umwandlung
bestehen nicht mehr; über den Rest exklusiv-preussischer Stim-
mung, der wohl beim Adel in den alten Provinzen, stets dem
Hindernis deutscher Einigung und gesunder Fortentwickelung,
noch vorhanden ist, darf man zur Tagesordnung übergehen. An
der Spitze des Reichs und Preussens steht ein Monarch, der
ganz unter der Wirkung der vollendeten Reichsgründung auf-
gewachsen ist und vom ersten Tage seiner Regierung zu erkennen
gab, wie sehr er der überragenden Stellung der Reichsgewalt,
der völkerrechtlichen Mediatisierung Preussens, der neuen Auf-
gaben seiner Dynastie bei aller Anhänglichkeit an das Geschicht-
liche bewusst ist. Wieviele Vorurteile in den Einzelstaaten ge-
fallen sind, beweist ausser der Erweiterung der Reichskompetenz
auf den wichtigsten Gebieten des Lebens, die Einführung der
deutschen Kokarde im ganzen Reichsheere seit 1897. Ganz frei
denkt im allgemeinen die Jugend, der man mit Unrecht einen
Vorwurf daraus macht, dass sie sich der kaiserlosen Zeit nicht
erinnern und mit den Vätern nicht immer wieder der Riesen-
arbeit vor 1871 festlich gedenken will. Für sie ist das Reich
mit allen seinen Rechten eben einfach selbstverständlich, wie jedes
überkommene Gut, so natürlich und unzweifelhaft, als ob für das
deutsche Volk eine geringere Einigung überhaupt nie denkbar
wäre,
Mit der Möglichkeit ist aber auch das Bedürfnis der Um-
gestaltung unseres Heerwesens gewachsen. Zunächst muss der
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