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Unternehmen in Angriff. Im Ministerium des Innern wurde ihm
ein Zimmer eingeräumt. Hier arbeitete er aus den Akten
heraus. Nahezu alles übrige brachte er im Kopfe mit. Bücher
gab’s auf seinem Arbeitstisch nicht viele.
Gewiss ist kein Zweifel: sein Vorhaben wurde SEYDEL
dadurch ausserordentlich erleichtert, dass er den zu bearbeitenden
Stoff zum grössten Teil nicht erst mühsam zu sammeln hatte,
sondern vollständig und übersichtlich geordnet und registriert in
den Ministerial- und Staatsratsakten vorfand, aber es war doch
eine Riesenarbeit, die SEYDEL leistete. Denn SEYDEL beschränkte
sich ja nicht auf die Erörterung der Prinzipien, sondern verfolgte
auch die in der Praxis hervorgetretene Kasuistik und ebensowenig
liess er es bei der Auslegung des geltenden Rechtes bewenden;
dieselbe Aufmerksamkeit wie der Rechtsdogmatik wandte er der
Rechtsgeschichte zu. Theoretisch-praktisch und historisch-dog-
matisch zugleich sollte das Werk Erschöpfendes leisten. Es ist
SEYDEL gelungen in zehnjähriger rastloser Arbeit. Im Dezember
1882 hatte er begonnen, Weihnachten 1892 lag das Manuskript
vollendet vor. Eine ausserordentliche Energie hatte es vermocht.
Es liegt nahe, dass während der Arbeit Zeiten kamen, in welchen
sich SkEYDEL nach dem Ende derselben sehnte. Je näher er
diesem kam, um so intensiver schaffte er. „Ich habe“, schreibt
er einmal im Frühjahr 1892, „seit Oktober vorigen Jahres buch-
stäblich keinen halben Tag gefeiert. Auch im Sommer will ich
nur fünf Wochen Ferien halten, um bis zum nächsten Frühjahr
endlich fertig zu werden.“ Es gelang ihm, schon vorher den Stoff
zu meistern, aber es ist begreiflich, wenn er eben nach Abschluss
des Ganzen sagte: „Es schüttelt mich ein wenig, wenn ich an
die Arbeit zurückdenke.“
Nur ein Mann von SeypEu’s Willenskraft konnte das Werk
überhaupt vollenden, nur ein Mann von SEYpEL’s Raschheit in
Konzeption und in Formulierung konnte das Werk in der ver-
hältnismässig kurzen Zeit von zehn Jahren in solcher Voll-