— 317 —
Wiederkehr des Hochzeitstages gewidmet. Welch’ herrlich Zeug-
nis sind die tiefempfundenen Worte:
„Ich fühl’ es heut’. Was mir das Herz durchbebt,
Zehn Jahre reinen Glücks, die ich gelebt,
In lichte Zukunft eine frohe Schau,
Mein Leben schön durch die geliebte Frau
Blick’ in die Augen mir, die thränenfeuchten,
Blick’ in die Augen mir, die selig leuchten,
Und leg’ dich leise dann mir in den Arm:
Das reichste Glück, es ist an Worten arm.“
„In lichte Zukunft eine frohe Schau.“ Wie anders sollte
es aber alsbald kommen! Gewiss unbegrenzte innere und äussere
Erfolge erblühten aus dem reichen Schaffen. Ungeteilte Be-
wunderung in den Kreisen der Wissenschaft, der Praxis, der
Politik; seitens des Staates als Zeichen äusseren Dankes unter
dem 22. Febr. 1893, also unmittelbar nach Fertigstellung des
grossen Werkes, die Verleihung des Ritterkreuzes des Verdienst-
ordens der bayerischen Krone und damit des persönlichen Adels,
nachdem der Gelehrte schon 27. Dez. 1889 mit dem Verdienst-
orden vom heiligen Michael IV. Klasse ausgezeichnet worden.
Aber nicht sollte SEYDEL vergönnt sein, sich des in harter Arbeit
errungenen Preises in körperlicher Gesundheit zu erfreuen. SEYDEL
war ja in dieser Hinsicht von Jugend auf an Genügsamkeit
gewöhnt. Sein Gehör liess infolge entzündlicher Erscheinungen
oft gar sehr zu wünschen übrig und nicht selten musste er sich
lange in die Behandlung eines Öhrenarztes begeben. Aber immer-
hin, gerade in den zehn Jahren bester Schaffenskraft war es ihm
auch körperlich verhältnismässig wohl ergangen. Und nun sollte
es sich so völlig ändern! Wie über den Helden der antiken
Tragödie, dem die Götter seine Riesenarbeit neiden, brachen seit
1893 über SEYDEL allmählich schwere Leiden herein,
Zuerst gönnte sich SEYDEL 1893 nach vollbrachter Arbeit
reichlich freiwillige Musse. Nur seine „staatsrechtlichen und
politischen Abhandlungen“ gab er in diesem Jahre gesammelt
25*