Full text: Archiv für öffentliches Recht.Sechzehnter Band. (16)

— 385 — 
Aber dafür der Genuss einer scharfen, klaren und darum ein- 
dringlichen Gedankenführung, gewürzt durch Proben feinen, 
prächtigen Witzes. Hätte ihn nicht sein körperliches Leiden 
davon abgehalten, SEYDEL hätte sich nach jeder Richtung vor- 
züglich zur Wirksamkeit im öffentlichen, im politischen Leben 
geeignet. 
Der SeyDEL eigene Humor trat auch in seiner schrift- 
stellerischen Thätigkeit hervor, weniger natürlich in seinen rein 
wissenschaftlichen Werken, doch begegnet er auch hier ab und 
zu in den Anmerkungen. Spielen liess er ihn aber in seinen 
Beiträgen zur Tageslitteratur, in seinen Aufsätzen für die politische 
Presse. In Einem dagegen, wo wir ihn besonders erwarten würden, 
fehlt er — von den wenigen Liedern an Hanna abgesehen — 
gänzlich, in seinen Gedichten. Sie sind durchgehends ernsten 
Charakters. Zu einem grossen Teil liegt dies an den gewählten 
Stoffen. Seine Gedichte gehören mehr der Beobachtung der Natur, 
der Schilderung der Schönheit der Erde, als der Beobachtung 
der Menschen. Der Stoff, den er wählt, fordert eine hoheitsvolle 
Sprache. Aber auch, wo er Seelenstimmung malt, fehlt die heitere 
Muse. Ernst und zumeist sogar Schwermut liegt über den Versen. 
Wie innig empfunden, aber doch wie düster klingt der Sang (Ncue 
Gedichte 8. 181): 
„Aus jenem Kelche hab’ ich nie getrunken, 
Den Jugend an die durst’ge Lippe reisst, 
War nie in jenen süssen Traum versunken, 
Der Glück gewährt, indem er Glück verheisst. 
Die Täuschung blieb mir fern; des Wahnes Schleier 
Hat mir die Dinge schmeichelnd nie verhüllt. 
Der Schmerz des Daseins war’s, der meine Leier 
Mit anmutreicher Töne Flut erfüllt. 
Wohl hab’ ich der Gedanken Reich durchmessen, 
Nicht freudig, nein, von starrem Frost durchbebt, 
Und könnt’ ich liebend nicht mich selbst vergessen, 
Dies Leben wär's nicht wert, dass ich’s gelebt.“
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.