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ohne wesentliche Aenderungen zeitlebens festhiel. Was er 1872
und 73 als junger Mann von sechs- und siebenundzwanzig Jahren
mutig und entschlossen behauptete, daran hielt er in der Haupt-
sache auch noch nach weiteren siebenundzwanzig Jahren fest.
Oft mit denselben Worten noch kehrt es in seinem letzten Werk,
in seinen „Vorträgen über allgemeines Staatsrecht“, wieder. Gar
Manchen mag es in der Stille gewundert haben, wie SEYDEL
trotz aller Anfechtung, die seine grundlegenden Anschauungen im
allgemeinen Staatsrecht doch zu ihrem grössten Teile erfuhren,
an keiner derselben irre wurde. Jeder Staatsrechtslehrer der
jüngsten Zeit, den ich kenne, hat im Laufe der Zeit an seinen
Grundansichten nicht unerhebliche Revisionen vorgenommen. SEY-
DEL that es nicht. Wie oft hat man ihm z. B. entgegengehalten,
dass seine Auffassung von einem Rechts-, von einem Vertrags-
verhältnis, das zwischen den Staaten eines Bundes bestehen soll,
mit seiner Grundanschauung vom Recht als einer Ordnung nur
innerstaatlicher Verhältnisse in Widerspruch stehe. Wie ver-
mögen, wenn der Staat Quelle allen Rechts ist, es also Recht
nur im Staate, im Verhältnis von Staat und Unterthanen geben
kann, doch auch rechtliche Beziehungen, Rechtsverhältnisse
zwischen Staaten zu bestehen? Das Wort vom „ewigen Bund“,
welcher zwischen den deutschen Staaten bestehen soll, soll für
diese Staaten gegenseitig bindende rechtliche Bedeutung haben
(Kommentar S. 13) und doch ist nach jenem allgemeinen Satz
ein Staat an die von ihm im gegenseitigen Verkehr beobachteten
Grundsätze nicht länger gebunden, als er will: zwischen ‚Staaten
besteht nicht Recht, sondern nur Gewalt (Allgemeine Staats-
lehre S,. 3). SEYDEL hat trotz alledem seine Lehre nicht auf-
gegeben, dass es Recht nur im, nicht ausser und über dem
Staate geben könne. Wie liesse es sich anders erklären, als
daraus, dass SEYDEL seine Anschauung eben völlig selbständig
gefasst hat? SerpeL schreibt einmal in der „J ugend“: „Das
beste, was der Mensch sein geistiges Eigen nennt, lernt er
Archiv für öffentliches Recht. XVI. 8. 96