— 399 —
tejlige zu vertreten, wenn es dem positiven Rechte entspricht.
Dies verlangt die wissenschaftliche Wahrheit und Aufrichtigkeit.
Von dem Gelehrten des Staatsrechts beansprucht dies aller-
dings Mut. Denn ist seine Lehre der politischen Anschauung
leitender Kreise zuwider, so wird ihm dies, wenn er seinerzeit
Staatsrechtslehrer werden oder seinen akademischen Wirkungs-
kreis erweitern oder verlegen will, leicht Hindernisse bereiten.
Nun SEYDEL hat diesen Mut besessen. Freilich hat er auch
darunter gelitten. Erst später, als er es verdient, erreichte er
das Ziel des akademischen Lehramts. Diese schmerzliche Er-
fahrung mag es mit erklären, dass ihn die abfällige politische
Beurteilung seiner Lehre entflammen liess. Jedenfalls hatte es
die Folge, dass er jedem seiner Schüler, welcher gesonnen war,
der akademischen Laufbahn sich zuzuwenden, den freundlichen
Rat gab, zunächst der Bundesstaatsfrage aus dem Weg zu gehen.
Noch erübrigt, zum Schluss zu erörtern, welche Stellung
SEYDEL dereinst wohl in der Geschichte der Staatsrechtswissen-
schaft einnehmen wird.
In Betracht kommt hiefür lediglich Seyper’s Verhältnis zu
den Grundfragen des Staatsrechts. Denn diese bleiben, während
die einzelnen Rechtsinstitutionen der Veränderung unterliegen
und mit ihnen die wissenschaftliche Konstruktion, die sie nach
ihrer jeweiligen Gestaltung finden.
Die aufgeworfene Frage lässt sich bis zu einem gewissen
Grade schon endgiltig entscheiden. Denn, wie hervorgehoben,
die Lehren, die SEYDEL zuletzt vertrat, sind in der Hauptsache
die seiner Jugend, somit schon siebenundzwanzig Jahre alt. Die
Staatsrechtswissenschaft hatte also genügend Zeit, zu ihnen
Stellung zu nehmen, sie zu verarbeiten. Da ist nun keine
Täuschung möglich — und SEyDEL war sich dessen am besten
bewusst —: mit seiner Leugnung der Rechts- und der Persön-
lichkeits-Natur des Staates und mit seiner Leugnung des Völker-
rechts hat SEYDEL unter den bislang massgebenden Vertretern