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Vormundschaft u. s. w.). Die herrschende privatrechtliche Auf-
fassung scheint sich dieser ohne Angabe von Gründen auf-
gestellten Behauptung anzuschliessen, auch in der Praxis hört
man nicht selten die Ansicht, nunmehr sei glücklich die jetzt
aufgestellte Frage des öffentlichen Rechtes eine akademische
Doktorfrage. Ja man hält die ewigen Untersuchungen sogar für
ein Unrecht, so sagt Oberfinanzrat WAHLE in diesem Archiv
Bd. XIV S. 469: „Die herrschende Ansicht kann sich unberech-
tigterweise von der Idee nicht losmachen, als ob alle Rechts-
vorschriften unbedingt in eine der beiden grossen Gruppen (Pri-
vat- und öffentliches Recht) untergebracht werden müssten, als
ob es ein auf einer unlöslichen Verbindung beider beruhendes
Drittes nicht geben könne.“ Doch gerade hier zeigt sich bei
der Unmöglichkeit, durch Anerkennung dieser goldenen Mittel-
strasse Resultate im Rechtsleben zu gewinnen, die grosse prak-
tische Bedeutung dieser Abhandlung. Noch jüngst hat man in
der Deutschen Juristenzeitung No. 23, V. Jahrg. vom 1. Dez.
1900 die Frage aufgeworfen, ob $ 54 A. L.-R. II, 1, wonach
die Vormünder ihren Konsens zur Eheschliessung ihrer Mündel
nicht ohne gerichtliche Genehmigung erteilen dürfen, durch
Art. 89 preuss. A.-G. z. B. @.-B., Art. 55 E.-G. z. B. G.-B.
beseitigt sei. Die fortdauernde Geltung dieser landesrechtlichen
vormundschaftlichen Bestimmung wird bejaht, da die Vorschriften
des A.L.-R. nach Art. 89 preuss. A.-G. nur insoweit aufgehoben
sind, als sie sich nicht auf öffentliches Recht beziehen und Art, 54
A.L.-R. nach PucHta, Pandekten $ 331 und A.L.-R. 88 1, 2,
3, I 18 öffentliches Recht enthalte. Die rechtlich nicht ein-
wandsfreie Stellung des Kodifikationsprinzips im Gebiete der Vor-
mundschaft tritt in seiner praktischen Bedeutung hervor, wenn
die u. a. von NIEDNER, Komm. z. E.-G. z. B. G.-B., vertretene
Ansicht richtig ist, wonach nur die entgegenstehenden Vor-
schriften des Landesrechtes nach Art. 55 E.-G. z. B. G.-B. ver-
drängt sind, dagegen ergänzende Vorschriften noch gelten-