Full text: Archiv für öffentliches Recht.Sechzehnter Band. (16)

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und der B und der C. Und wenn ich über den Begriff des Einschleichens 
beim Diebstahl oder den der Gesamtstrafe oder den des Thatbestandes bei 
der Begünstigung theoretisch nachdenke, so ist es mir auch selbstverständ- 
lich vollkommen gleichgiltig, ob es sich um einen oft abgestraften Gewohn- 
heitsverbrecher oder ein in Not befindliches sonst höchst anständiges Mäd- 
chen handelt — ich begnüge mich mit A, B und C. So ist es aber nicht 
in der Praxis, welche keinen grösseren Schaden nehmen kann, als wenn man 
sich gewöhnt hat, die Angeklagten als A, B und C zu behandeln. Vollge- 
macht wird aber das Mass des Unziemlichen, wenn ein Judikat als Muster 
herangezogen wird, bei welchem, für den fraglichen Fall mit vollem Rechte, 
Momente weggelassen wurden, die dort wirklich gleichgiltig, heute aber sehr 
wesentlich wären; dann kann vielleicht sogar die juristische Qualifikation 
Schaden leiden, wenn scheinbar Gleiches in dieselbe Form gepresst werden 
will. — Zu dieser Gefahr einer mangelhaften oder ganz unterlassenen Indivi- 
dualisierung der Fälle kommt noch ein zweites Moment. Die Stabilisierung 
einer Rechtssprechung ist um so sicherer und durchgreifender, je länger sie 
dauert, je älter das Gesetz wird; die Herrschaft des deutschen Reichsstraf- 
gesetzes ist aber trotz allen Rufens nach Revision und Neubearbeitung 
zweifellos noch eine lange dauernde. Ebenso hat es mit dem österreichischen 
neuen Strafgesetze noch seine gute Weile, trotzdem das heute geltende nur 
die auch schon ein halbes Jahrhundert alte revidierte Ausgabe des ein volles 
Jahrhundert alten Gesetzes ist. Dieser Umstand einerseits und die mangelnde 
Lust, sich mit diesem wankenden Strafgesetze wissenschaftlich zu befassen, 
veranlasst die österreichischen Juristen, sich mit den deutschrechtlichen 
Arbeiten, also auch mit der Judikatur, fast ebenso zu beschäftigen, wie die 
Deutschen selbst. Ein neues Strafgesetz ist aber für die nächste Zeit weder 
für Deutschland noch für Oesterreich zu erwarten; man sieht ein, dass die 
Frage um die Verantwortlichkeit und Zurechnungsfähigkeit, um den Straf- 
zweck und ein modernes Strafensystem noch unbeantwortet ist, dass alle 
Hände aber damit befasst sind und dass über diese wichtigsten Grundlagen 
vielleicht doch Einigung erzielt werden wird. Niemand zweifelt daran, dass 
die Forschungen der heutigen Kriminologie, Kriminalanthropologie, -psycho- 
logie, -sociologie, -statistik und die Arbeiten über die Realien des Strafrechts 
unbedingt in einem modernen Strafrecht Verwendung finden müssen, sie 
sind aber im Augenblick noch nicht so weit, um verwertet werden zu 
können. Nicht besser steht es mit dem besonderen Teile. Ein Kapitel 
über die politischen Delikte kann heute kein Mensch zeitgerecht schreiben 
und das bestgeschriebene wäre heute in keinem Parlament, namentlich im 
österreichischen, durchzubringen: eine Partei würde es gewiss zum Falle 
bringen. Ebenso sind im Augenblicke die Schreier, welche gar keine Reli- 
gionsdelikte im Strafgesetze haben wollen, noch nicht zum Schweigen ge- 
bracht, die unumgänglichen Vorarbeiten für die Frage der unnatürlichen 
Unzucht sind noch nicht gemacht, über die Sittlichkeitsdelikte im allgemeinen
	        
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