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und der B und der C. Und wenn ich über den Begriff des Einschleichens
beim Diebstahl oder den der Gesamtstrafe oder den des Thatbestandes bei
der Begünstigung theoretisch nachdenke, so ist es mir auch selbstverständ-
lich vollkommen gleichgiltig, ob es sich um einen oft abgestraften Gewohn-
heitsverbrecher oder ein in Not befindliches sonst höchst anständiges Mäd-
chen handelt — ich begnüge mich mit A, B und C. So ist es aber nicht
in der Praxis, welche keinen grösseren Schaden nehmen kann, als wenn man
sich gewöhnt hat, die Angeklagten als A, B und C zu behandeln. Vollge-
macht wird aber das Mass des Unziemlichen, wenn ein Judikat als Muster
herangezogen wird, bei welchem, für den fraglichen Fall mit vollem Rechte,
Momente weggelassen wurden, die dort wirklich gleichgiltig, heute aber sehr
wesentlich wären; dann kann vielleicht sogar die juristische Qualifikation
Schaden leiden, wenn scheinbar Gleiches in dieselbe Form gepresst werden
will. — Zu dieser Gefahr einer mangelhaften oder ganz unterlassenen Indivi-
dualisierung der Fälle kommt noch ein zweites Moment. Die Stabilisierung
einer Rechtssprechung ist um so sicherer und durchgreifender, je länger sie
dauert, je älter das Gesetz wird; die Herrschaft des deutschen Reichsstraf-
gesetzes ist aber trotz allen Rufens nach Revision und Neubearbeitung
zweifellos noch eine lange dauernde. Ebenso hat es mit dem österreichischen
neuen Strafgesetze noch seine gute Weile, trotzdem das heute geltende nur
die auch schon ein halbes Jahrhundert alte revidierte Ausgabe des ein volles
Jahrhundert alten Gesetzes ist. Dieser Umstand einerseits und die mangelnde
Lust, sich mit diesem wankenden Strafgesetze wissenschaftlich zu befassen,
veranlasst die österreichischen Juristen, sich mit den deutschrechtlichen
Arbeiten, also auch mit der Judikatur, fast ebenso zu beschäftigen, wie die
Deutschen selbst. Ein neues Strafgesetz ist aber für die nächste Zeit weder
für Deutschland noch für Oesterreich zu erwarten; man sieht ein, dass die
Frage um die Verantwortlichkeit und Zurechnungsfähigkeit, um den Straf-
zweck und ein modernes Strafensystem noch unbeantwortet ist, dass alle
Hände aber damit befasst sind und dass über diese wichtigsten Grundlagen
vielleicht doch Einigung erzielt werden wird. Niemand zweifelt daran, dass
die Forschungen der heutigen Kriminologie, Kriminalanthropologie, -psycho-
logie, -sociologie, -statistik und die Arbeiten über die Realien des Strafrechts
unbedingt in einem modernen Strafrecht Verwendung finden müssen, sie
sind aber im Augenblick noch nicht so weit, um verwertet werden zu
können. Nicht besser steht es mit dem besonderen Teile. Ein Kapitel
über die politischen Delikte kann heute kein Mensch zeitgerecht schreiben
und das bestgeschriebene wäre heute in keinem Parlament, namentlich im
österreichischen, durchzubringen: eine Partei würde es gewiss zum Falle
bringen. Ebenso sind im Augenblicke die Schreier, welche gar keine Reli-
gionsdelikte im Strafgesetze haben wollen, noch nicht zum Schweigen ge-
bracht, die unumgänglichen Vorarbeiten für die Frage der unnatürlichen
Unzucht sind noch nicht gemacht, über die Sittlichkeitsdelikte im allgemeinen