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unserer Meinung nach, am meisten der wirklichen Sachlage ent-
spricht *.
Vom Standpunkt des heutigen Staatsrechts ist das Gebiet
kein Objekt des Staates, sondern bloss ein Moment im Begriff
desselben. Der Staat herrscht nicht über das Territorium,
sondern in dessen Grenzen, und diese letzteren bestimmen nur
die räumliche Sphäre der staatlichen Herrschaft. Auf diese
Weise ist dem Territorium überhaupt der Charakter einer Sache
genommen; das Verhältnis zwischen ihm und dem Staat hat
nichts mit dem Verhältnis des Eigentümers zu seiner Sache
gemein. Das Gebiet ist bloss der materielle Rahmen, in dem
der politische Organismus sein imperium ausübt. Was aber
das dominium, die Sachenrechte, anbetrifit, so kann davon nur
dann die Rede sein, wenn der Staat — als Fiskus — gewisse
Rechtsansprüche auf irgend ein Grundstück oder überhaupt
ein Immobil geltend macht. Hierbei ist aber zu bemerken,
dass wenn sogar das gesamte Territorium sich in Staatseigentum
verwandeln sollte, die Gebietshoheit als solche doch keinen sach-
lichen und privatrechtlichen Charakter erhalten würde.
Wenn der hier dargelegte Standpunkt richtig ist, nämlich
dass das Gebiet kein Objekt der Staatsherrschaft ist, so muss
auch die Lehre von der acquisitio dominii ein ganz anderes Aus-
sehen bekommen als das, welches ihr gewöhnlich gegeben wird.
Indem ein Staat irgend ein Gebiet sich einverleibt, vermehrt er
nicht sein „Vermögen“, sondern erweitert bloss die gesetzlichen
Grenzen seiner Herrschaft, seine Kompetenz ratione loci. Er er-
wirbt hierbei keine neue Gewalt, sondern verbreitet nur die
seinige auf solche Gebiete, die sich bis dahin unter fremder oder
überhaupt keiner Souveränität befanden’°®.
‚Damit ein Staat (ratione loci) grösser oder kleiner werden
& Vgl. Hueo Prevss, op. cit. S. 263ff.; HEILBoORN, System des Völker-
rechts 1886 8. Öff. und JELLINER, op. cit. 8. 3öäff.
8 Richtig: HUBER, Die Staatensuccession. Leipzig 1898 S. 18.