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Einrichtung als selbständige Abtheilung des Reichsjustizamtes empfiehlt,
dürfte vielleicht der Erwägung werth sein.
Leipzig. Reichsgerichtsrath Dr. Hagens.
Heinr. Triepel, Professor Dr., Wahlrecht und Wahlpflicht. Dresden,
v. Zahn & Jaensch, 1900. 59 S. gr. 8°. M. 1.20.
Dem Verf. gebührt das Verdienst, die vielfach angeregte, aber,
wie er mit Recht bemerkt, bislang nur oberflächlich behandelte Frage des
Wahlzwangs gründlicher beleuchtet zu haben. Er zeigt zunächst das höchst
beschränkte Anwendungsgebiet, das über Belgien und über einige wegen
der Kleinheit der Staatswesen als Vergleichsobjekte nicht geeignete Schweizer
Kantone nicht hinausgeht und das uns nirgends irgendwie brauchbares
statistisches Material für die Wirksamkeit des Zwangs liefert. Es werden
sodann die ungeheuren Schwierigkeiten dargelegt, die der praktischen
Durchführung des Zwanges und der Erzielung der davon erhofften Erfolge
entgegenstehen. Bei Untersuchung der Frage, ob sich der Zwang
überhaupt innerlich rechtfertigen lasse, kommt Verf. zu einem
völlig ablehnenden Ergebnisse. In der Begründung seines Satzes wird man
ihm nicht durchweg beistimmen können. Er hält sich dabei zu sehr auf
dem Boden des Abstrakten. Er meint z. B,, MiırAaBEAau’s Forderung, dass
die Volksvertretung die Ansichten des Volkes wiederspiegeln müsse, wie die
Karte die Gestaltung des Landes, würde bedingen, dass das Parlament
jeden Monat, ja jede Woche neu gewählt werden müsse. Mit nichten!
Wenn Wahlen nach Natur der Sache nur in längeren Zeiträumen stattfinden
können, dann muss es desto mehr als geboten anerkannt werden, dass wenig-
stens im Zeitpunkte der Wahlen selbst diese kein falsches, sondern
ein möglichst getreues Bild liefern. Und wenn Verf. es für „Aberglauben“
erklärt, dass die Wahlen den Willen eines Volkes darstellen sollen, dessen
Frauen, Kinder (!) und Soldaten nicht mitstimmen dürfen, so muss die
Gegenfrage gestellt werden, was sie dann darstellen. Allerdings gibt es
nach konstitutioneller Ordnung (etwa von Auflösungswahlen abgesehen, z. B.
der Septennatswahl) keinen Volkswillen über Gesetze; aber in den Wahlen
drückt sich immerhin der Wille der stimmberechtigten Volksglieder (kurz-
weg des „Volks“) über die Zusammensetzung des Parlaments,aus.
Lassen sich aber auch diese Gründe nicht annehmen, das Endergeb-
niss kann nicht abgewiesen werden, so lange nicht, um mit dem Verf. zu
reden, das Uebel an der Wurzel angegriffen wird, das in Unbildung, Stumpf-
heit, Trägheit oder in den Folgen überlebter Wahlsysteme zu suchen ist.
So lange die Einerwahlen in abgezirkelten Wahlkreisen bestehen, würde der
Wahlzwang, wie mit Recht betont wird, namentlich bei Stichwahlen, nichts
Anderes bedeuten, als dass eine ganze Reihe von Wählern gezwungen werden