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wohl auch angesichts der abweisenden Haltung, die jeder Staat
gegenüber der Einwanderung von Fremden annahm und anderer-
seits angesichts der überall bestehenden Auswanderungsbeschrän-
kungen bis zu Anfang dieses Jahrhunderts die Regel. Die Frage,
ob für den Erwerb der Staatsangehörigkeit die Thatsache der
Abstammung von einem Inländer oder die Thatsache der Geburt
im Inlande als Anknüpfungspunkt vorzuziehen sei, hatte unter
diesen Umständen wenig praktische Bedeutung. Erst mit der
zunehmenden Anerkennung der Grundsätze der Freizügigkeit und
der Auswanderungsfreiheit auch im internationalen Verkehr ver-
langte die Frage gebieterisch nach einer Lösung.
Die modernen Gesetzgebungen über die Staatsangehörigkeit
nehmen fast ausnahmslos den Grundsatz zum Ausgangspunkt,
dass für den Erwerb der Staatsangehörigkeit die Abstammung
entscheidet. Das erwachende Selbstgefühl des Volkes, das seit
den Tagen der französischen Revolution das gesammte öffent-
liche Leben im Inneren der Staaten, wie im internationalen Ver-
kehr so mächtig beeinflusst hatte, war auch auf dem Gebiete der
Staatsangehörigkeitsgesetzgebung nicht ohne Wirkung geblieben:
es ist klar, dass ein Volk, das sich der Blutsverwandtschaft
seiner Angehörigen bewusst ist, der Blutsverwandtschaft, der
Thatsache der Abstammung als Anknüpfungspunkt für den Erwerb
der Staatsangehörigkeit den Vorzug vor dem Geburtsorte geben
muss. Die ausnahmslose Durchführung dieses Grundsatzes im
Zusammenhang mit der zunehmenden Ein- und Auswanderung
führte aber bald zu einem wachsenden Missverhältnisse zwischen
den Staatsangehörigen und den im Inlande dauernd nieder-
gelassenen Fremden. Die Gesetzgebung sann daher allenthalben
auf Mittel und Wege, wie der natürliche Zusammenhang zwischen
Staatsangehörigkeit und Wohnsitz im Staate wieder herzu-
stellen sei,
‚Der Zweck der folgenden Abhandlung ist der, die gesetz-
geberischen Versuche darzustellen, die bisher gemacht worden