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personen. Ich bejahe die Frage. Staaten treten häufig in privat-
rechtlichen Verkehr miteinander; ein Staat verkauft dem anderen
Waffen, Schiffe, zwei Staaten vereinbaren sich über die Kosten
von Korrektionen u. s. w. Es ist klar, dass solche privatrechtliche
Verträge Verträge, und zwar solche bindender Natur sind, nicht
nach Vorschrift des von den betreffenden Staaten aufgestellten
Privatrechts, sondern nach allgemeinen über den Staaten herr-
schenden Normen, d. h. nach den Normen des allgemeinen Privat-
rechts. Es kommt auch nicht unhäufig vor, dass ein Staat mit
Privatpersonen anderer Staaten kontrahiert, z. B. mit auswärtigen
Banken über Anleihen, mit Geschütz- oder Gewehrfabrikanten
über Lieferung von Waffen u. s. w. Auch diese privatrechtlichen
Verträge sind solche nach den allgemeinen Privatrechtsnormen.
Wenn z. B. die Schweiz behufs Deckung ihrer Eisenbahnschuld
ein Anleihen bei englischen und amerikanischen Banken aufnehmen
würde, so wird sie schuldig nicht nach schweizerischem Obligationen-
rechte, nicht nach englischem oder amerikanischem Rechte, son-
dern nach Rechtsgrundsätzen des internationalen Verkehrs.
Es giebt somit ein allgemeines Privatrecht neben dem Völker-
rechte, enthaltend die in allen modernen Kulturstaaten anerkann-
ten Hauptprinzipien des Privatrechts. Solche Rechtsgrundsätze
haben sich im Verlaufe der Zeiten ausgebildet.
Die Geltung oder Positivität des Völkerrechts und des all-
gemeinen Privatrechts liegt in dem Willen der massgebenden
Staatsorgane; dieser Wille ist determiniert durch die Achtung
vor der inneren, überzeugenden Kraft der Rechtsgrundsätze selbst,
durch das Gefühl, dass Moral und Anstand die Erfüllung ent-
standener Verpflichtungen erfordern, durch die Scheu vor der
öffentlichen Meinung, welche den Bruch der Rechtspflicht verurteilt,
und endlich durch die Furcht vor Nachteilen und Gegenmassregeln.
Nach der bisherigen Erörterung können wir den Begriff des
Staates dahin bestimmen: Der Staat ist die zur Ermöglichung
eines geordneten und gedeihlichen, vor äusseren Angriffen ge-
Archiv für öffentliches Recht. XVII. 1. 9