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kann. Dahin rechnen auch die Ausführungen, dass man nicht gehalten sei,
da, wo Flucht möglich ist, diese zu wählen und auf Notwehr zu verzichten.
Nicht unwidersprochen bleibe indessen der Satz und das Beispiel S. 16:
gegen blosse Belästigungen, die kein Recht verletzen, z. B. wenn jemand
ein in der Dunkelheit promenierendes Liebespaar zu dessen Aerger mit der
Fackel begleite, gebe es kein Notwehrrecht. Eine chikanierende Belästigung
ist unseres Erachtens doch als ein abwehrfähiger Angriff anzusehen. Be-
achtlich sind namentlich die juristisch richtigen Gedanken über die bei
Laien immer verschwimmende „Ehrennotwehr*. Teil 3 erörtert das eigent-
lich Wesentliche: Die Abwehr der Not in der Form der Verteidigung
mit Beleuchtung der dolosen Notwehr und der Notwendigkeit, der Notlage
lediglich in den Grenzen der Notwehr selbst abzuhelfen, die Ueberschreitung
der Notwehr, die Notwehrpflicht, die Nothilfe, die Nothilfepflicht und den
Einfluss von Irrtum des Sichverteidigenden. Neben völliger Beherrschung
und guter Verwerthung aller einschlägigen Litteratur begegnen wir auch in
diesem Hauptabschnitt manchen neuen und anregenden Gedanken, die einer
Weitergestaltung sachgemäss den Boden vorbereiten. Freilich wird den
schönen, theoretisch und logisch so richtigen Entwicklungen die Wirklich-
keit nicht immer entsprechen. Denn die Abwehr der Not ist meist ein
Kind des Augenblickes, und nicht jedem ist es gegeben, einem unerwarteten
plötzlichen Angriff gegenüber ruhiges Blut zu behalten und kühl abzuwägen,
was allein zur Abwehr erlaubt, und wann die Notlage behoben sei. In der
Begründung der Notwehrpflicht steht Dr. v. A. nicht auf dem Standpunkt
des Evangeliums (Matthäus 5 v. 38—41), sondern erklärt mit der modernen
Ethik die Notwehrpflicht als eine Pflicht gegen die Gesamtheit, ihre Erfül-
lung als eine gute, sittlich notwendige That. Auch die Nothilfe wird als
eine sittliche Pflicht, daneben aber auch als ein ungeheuer weitgehendes
gegenseitiges Aufsichtsrecht der Menschen hingestellt. Breiteren Raum
nehmen die der Nothilfepflicht gewidmeten Ausführungen ein, unter denen
der Nachweis, wie die soziale Entwicklung der Treupflicht in der Gefahr
bedeutenden Nährboden entzogen hat, wohl geglückt ist. Der Schlussteil
behandelt den Schadensersatz sowohl nach geschehener, als auch wegen unter-
lassener bezw. mangelhafter Nothilfe, um mit der Erörterung, ob nach Analogie
des Finderlohnes die allgemeine Einführung einer Belohnung für Nothilfe
anzustreben sei, zu schliessen.
Halberstadt. Dr. Benedix.