— 163 —
eine blosse Abstraktion; das individuelle, zugleich das subjektive,
war das wirkliche primäre Recht. Historischen Ausdruck fand
diese Anschauung vor allem in der Erklärung der Menschen-
rechte.
Die Erstarkung der Staatsgewalten in der Restaurations-
epoche stürzte mit den Theorien der Revolution auch die Natur-
rechtslehre. Zwar lebten manche ihrer Ideen im Wohlfahrts-
staate des liberalisierenden Absolutismus und in der „heiligen
Allianz“ wieder auf, aber schon begann die Idee der Priorität
der subjektiven Rechte vor dem Gedanken der Staatswohlfahrt
zu weichen.
Während dann die Lehren des Naturrechts praktische Ver-
wirklichung im Uebergang zum konstitutionellen Staatssystem
fanden, begann die historische Schule, gestützt auf die realen
Quellen des Rechts, dogmatisch das Naturrecht zu bekämpfen.
Allein man traf es nicht bis auf die Wurzel; manche naturrecht-
liche Auffassung blieb an den neuen Lehren haften und geht
noch heute als falsche Münze um.
Den Brennpunkt der Kontroversen bildet das Recht par
excellence, das staatliche Recht. Sein Wesen hat deshalb die
verhältnismässig befriedigendste Aufklärung erhalten, wogegen
andere Rechtskategorien noch derselben harren.
Da im Völkerrecht keine nennenswerte positive Rechts-
setzung gewirkt hat, bewahrte es auch nach der herrschenden
Meinung in vielen Teilen sein naturrechtliches Gepräge. In ziem-
licher Uebereinstimmung mit den Lehren der philosophischen
Richtung im Landesrecht (Normtheorie) wird sein Wesen in
äusserlich objektiv gefassten, auf die realen, natürlichen Verkehrs-
verhältnisse angepassten sittlichen Postulaten, und die Lösung
der Frage der staatlichen Souveränität im Prinzip der Selbst-
beschränkung gesucht. Auf der anderen Seite anerkennt die
extreme materialistische Schule als Recht nur die im realen
Staatswillen enthaltene Rechtsordnung und gelangt folgerichtig
11*