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ausser ihr stehen, wird vielleicht erst durch die Norm erweckt.
Es ist also unlogisch und beruht auf Verkennung des subjektiven
resp. relativen Charakters des zweiten Willens, wenn BIERLING
fortfährt, die Norm werde entweder vom Standpunkt des Impe-
rans, d. h. des Willens, welcher von dem anderen erfüllt sein will,
oder von dem Standpunkt desjenigen, an welchen sich die Norm
richtet, sofern dieser seinen eigenen Willen in den Dienst des
fordernden Willens stellt, sich ihm unterwirft, gewollt oder an-
erkannt. Die Norm werde gewollt einesteils als normgebender
Wille, andernteils als normnehmender Wille. Das Resultat wäre
die absurde Behauptung, die Norm sei Befehl und Gehorsam.
Die imperativistische Konstruktion der Norm ist also misslungen.
Dagegen wird BiERLING dem hypothetischen Wesen der Norm
in folgenden Aeusserungen gerecht: Das Recht selbst habe in Wahr-
heit wie jedes andere Produkt des Geisteslebens nur in den Gei-
stern, insbesondere der Rechtsgenossen selbst, seine eigentliche
Existenz. Das Recht stecke in den Subjekten selbst, die Objek-
tivierung sei nur die rein abstrakte Zusammenfassung im unper-
sönlichen Gattungswillen. Die schriftliche Fixierung sei vollends
höchst nebensächlich für das Recht. Darnach ist das sub-
jektive Recht ausgesprochen das primäre Recht.
Durch die ÖObjektivierung werde aber das Essentiale des
Rechts von dem individuellen Subjekt auf ein allgemeines objek-
tives (abstrahiertes) Subjekt übertragen. Die abstrakte objektivierte
Norm werde erhalten aus dem Gattungsbegriff. Der Imperativ
sei einfach, statt als von der Person an die Person gerichtet,
von der Gattung zur Gattung gehend zu denken.
Nun kann aber nach früheren Ausführungen das Subjekt des
objektiven Rechtswillens nicht als blosse Summierung von Gattungs-
merkmalen angenommen werden, denn „Gattung“ bedeutet nicht
schon „Gemeinschaft“, sondern es wird durch Individualisierung,
Subjektivierung der Gattung, der in concreto die Organisation
derselben entspricht, erhalten. Die Norm als Gattungswille wäre