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8. Die Vereinbarungstheorie.
Die Frage nach dem Grunde der Verbindlichkeit des Rechts
wird im staatlichen Recht mit dem Hinweis auf das geschriebene
und das „ungeschriebene“ Gesetz scheinbar einfach beantwortet.
Aber diese Antwort umschreibt nur die praktischen und gewöhn-
lichen Erfordernisse des Rechtstitels und befriedigt in Anbetracht
des Völkerrechts überhaupt nicht mehr. Zwar werden dort die
Analogien in den völkerrechtlichen Verträgen, in Kongressakten
u. 8. w. gesucht, aber gerade deren rechtliche Natur ist kon-
troVveIs.
Einen wertvollen Beitrag zur Lösung des Verbindlichkeits-
problems hat TRIEPEL®? durch die Vertiefung und Beleuchtung
der ursprünglich von Binpına stammenden Unterscheidung von
Vertrag und Vereinbarung geleistet. Ausgehend von der Be-
obachtung, dass der sog. consensus beim Vertrag keine wirk-
liche Willenseinigung ist, gelangt er zu der Definition des Ver-
trages als der Vereinigung mehrerer Personen von ver-
schiedenem, aber korrespondierendem Interesse zu
inhaltlich entgegengesetzten, auf denselben äusseren
Zweck gerichteten Willenserklärungen. Dagegen ist die
Vereinbarung bestimmt, gemeinsame oder gleiche Inter-
essen zu befriedigen.
Der Vertragsnatur ist ohne vorgängige Lösung des Willens-
problems nicht beizukommen. Das erhellt schon aus den Wider-
sprüchen der üblichen Definitionen. Verwirrend ist namentlich,
dass die verschiedenen Willenserscheinungen nicht genügend dif-
ferenziert und nach ihrem gegenseitigen Verhältnis aufgefasst
werden. TRIEPEL exemplifiziert mit dem Schenkungsvertrag.
Abgesehen von dem Erklärungswillen will der Schenker eine
eigene zukünftige Handlung, er erklärt ein „Sichverhaltenwollen®;
#2 'TRIEPEL, ob. S. db u. 53.