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des Zwangs zum Zweck der Verwirklichung des Rechts, also
überhaupt diese Theorie, schlechthin beim Völkerrecht, bei den
Pflichten und Rechten des Monarchen, bei den meisten Staats-
grundgesetzen und bei Gesetzen, denen Vollziehungsgesetze
mangeln. Gleichwohl behält IuErınG den Zwang als wesentliches
Erfordernis des Rechts bei, aber in Verbindung mit der Er-
kenntnis, dass sich der Organisation desselben jeweilen unüber-
windliche Hindernisse entgegenstellen.
Aber dies geschieht nicht nur „jeweilen“, sondern regel-
mässig; also ist der Zwang im angenommenen Sinne hier keines-
falls Rechtens. Selbsthülfe und Faustrecht sind deshalb keine
gültigen Surrogate der staatlich organisierten Gewalt. Wohl mag
es im Leben aller Völker Epochen gegeben haben, wo Selbst-
hülfe und Faustrecht die rechtlichen Gewalten insofern waren,
als ohne sie das Recht ein toter Buchstabe gewesen wäre. Allein
sie waren nur faktisch Rechtsgewalt, ihnen fehlte die staatliche
Organisation, die formale Rechtsnatur. Dagegen geht aus diesem
Beispiel hervor, dass das Kriterium des Rechts zwar die Er-
zwingbarkeit ist, aber nicht notwendig die vom Staatswillensträger
formell organisierte Erzwingbarkeit, sondern schon die faktische
und als regelmässig garantierte (improvisierte Zwangsorganisation).
STAMMLER®* sucht die Einseitigkeit der IaErıng’schen De-
finition zu vermeiden. Er fasst das Recht als einen sozialen
Machtbefehl auf, der in seiner formalen Bedeutung für beide
Teile verbindlich ist (Kriterium gegenüber der Willkür). Ein
Kriterium des Rechts gegenüber der blossen sog. Konventional-
regel liegt aber nach ihm nicht darin, dass die juristischen
Normen von der organischen Gewalt erlassen werden, denn auch
die Konventionalregeln entstehen durch Organisation. Ja selbst
inhaltlich sind beide Normarten durchaus nicht divergent. Rechts-
5% STAMMLER, Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Ge-
schichtsauffassung, Leipzig 1896, 8. 125 ff.
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