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geschichtliche Darstellung der Entwicklung im gemeinen und kanonischen
Prozesse, wobei vornehmlich Italiener zu Worte kommen. Man kann also
sagen, dass der Verf. seine Untersuchungen jedenfalls auf einen aus-
reichend breiten internationalen Boden gestellt hat. Ueberall wird mit einem
reichen Material an praktischen Rechtsfällen gearbeitet, so dass der Eindruck
grosser Vielseitigkeit sicher ist. Wenn dabei die Darstellung des englischen
Rechts verhältnismässig wenig zur Förderung des Themas zu bieten scheint,
so liegt das wohl in der Sache: das englische Recht geht so sehr seine
eigenen Wege, dass fruchtbare Anknüpfungen schwer zu finden sind.
Im übrigen zieht sich durch das Ganze als ein roter Faden der Begriff
des justus oder legitimus contradicetor. Das ist der Mann, mit welchem man
die Rechtsangelegenheit durchgefochten haben muss, damit die erzielte Ent-
scheidung auch für andere wirke. Dass eine solche allgemeine und selbst-
verständliche Wirkung über die Prozessparteien hinaus bestehe, ist die
These des Verf. Er will deshalb aus dem alten Satze: „res judicata jus facit
inter partes* die Worte „inter partes“ streichen (S. 305). Und sein Er-
gebnis fasst er dahin zusammen (S. 509): „Die Rechtskraftwirkung tritt unter
den Parteien ein; das heisst nicht, dass sie sich nur unter den Parteien
äussert; es heisst vielmehr, dass sie sich überall da äussert, wo zwischen den
Parteien geltendes Recht, das unter den Parteien rechtskräftig entschieden
wurde, im Laufe eines späteren Prozesses in Frage kommt.“ Also auch jeder
Dritte kann sich darauf berufen. HerLwiıc, dessen Buch: Wesen und sub-
jektivre Begrenzung der Rechtskraft, seither erschienen ist, hat sich S. 54
gegen diese Verlegung des Schwerpunktes der Frage ausgesprochen, meines
Erachtens mit Recht.
Die genauere Erforschung des Wesens der Rechtskraft im Civilprozesse
ist für die Verwaltungsrechtswissenschaft von grossem Interesse. Verwenden
wir doch auch unsererseits diesen Begriff in der Verwaltungsrechtspflege,
und für das, was er hier bedeuten soll, muss die civilprozessrechtliche Lehre
das massgebende Vorbild liefern. Vielleicht würde es aber auch den Prozes-
sualisten nützlich sein, wenn sie zuweilen einen Blick werfen wollten
auf die eigenartigen Bedingungen, unter welchen das Institut bei uns zur
Verwendung kommt. Namentlich scheint mir sehr beachtenswert das Ver-
hältnis zwischen dem rechtskraftfähigen Verwaltungsurteil und dem nahe
verwandten einfachen Verwaltungsakt. Es wird leicht zu bemerken sein,
dass gar manches, was man der Rechtskraft zuschreibt, auch beim einfachen
Verwaltungsakt sich findet. Um nur ein Beispiel zu geben, so unterscheidet
Verf. S. 475 die „deklarative“ und die „konstitutive“, „rechtsgestaltende“
Funktion der Urteile, Insofern das Urteil deklarativ ist, macht es eine
„materiell rechtskräftige Feststellung“. Daneben kann aber auch eine kon-
stitutive Funktion „in gleicher Weise wie die materielle Rechtskraft an die
formelle Rechtskraft geknüpft sein“. Der Gegensatz trifft nicht ganz zu-
Sammen mit unserem Unterschied von Entscheidung und Verfügung, aber