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weiterhin von dem Widerstreben, in den staatlichen auch
gesellschaftliche Organe anzuerkennen. Noch jüngst
suchte ein Theoretiker”° — natürlich vergeblich — zu beweisen,
dass zwar nicht der Staat selber, wohl aber seine sämtlichen
Organe an die Normen des geschriebenen und ungeschriebenen
Rechts gebunden seien.
Neben der Gewohnheit wird in der Regel der Vertrag
schlechthin oder der rechtsetzende Vertrag als Quelle des Völker-
rechts genannt. TRIEPEL hat im rechtsetzenden Vertrag resp.
in der Vereinbarung den Gremeinwillen der Völkerrechtsgemein-
schaft als wahre Rechtsquelle nachgewiesen. Die Vereinbarung
klar vom Vertrag zu sondern empfiehlt sich namentlich deswegen,
weil der Vertrag als gegenseitige Vermittlung in sich verschie-
dener Willen stets auch im Völkerrecht ein Rechtsgeschäft auf
Grund einer Vereinbarung ist und Gesamtwillen und -Gewalt als
Sanktion voraussetzt.
Die Vereinbarung als Willenseinigung tritt aus dem Rahmen
des „Vertrages“ heraus. Die Definition des Gewohnheitsrechts
als „konkludenter Vertrag“ und als die „tacita conventio civium“
der römischen Quellen weist darauf hin, dass sie auch die Grund-
lage des Völkergewohnheitsrechts bildet. Die Einheit der Rechts-
quellen bleibt damit gewahrt.
Es frägt sich indessen, was als Substrat des völkerrecht-
lichen Gemeinwillens betrachtet werden müsse. Darauf antworten
wir rekapitulierend folgendes: Eine Willensvereinigung kommt
offenbar noch nicht durch die kasuelle Uebereinstimmung der
Willensrichtungen zu stande, denn der Gemeinwillen ist wesent-
lich einheitlicher, organischer Natur. Wenn sich sonach in ver-
schiedenen Gegenden ähnliches Recht bildet, ist dies zweifellos
nur Recht in dem Umfang seines lokalen Geltungsbereichs. So-
bald aber infolge des Verkehrs die wechselseitige Gültigkeit
7° B. Schmivt, Das Gewohnheitsrecht als Form des Gemeinwillens,
Leipzig 1899, S. 12.