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mässig nicht zur direkten Geltung bringt. Aber das Individuum
resp. sein Interesse wird vertreten, mit anderen Worten, sein
nicht vollständig realisierbares Wollen wirkt auf den Vertreter,
insofern dessen Interesse, sein noch nicht realisiertes Wollen,
sich mit jenem individuellen kreuzt, verbindet. Auf diese Art
ergiebt sich in der Interessenvertretung eine Willensübermittelung
zwischen dem Individuum und seinem Vertreter.
Wenn man sagt, der Vertreter solle auch das Staatsinteresse
wahren, bedeutet das nur, dass er neben dem persönlichen
Interesse, eben dem des vertretenen Individuums oder einer be-
grenzten Gesellschaftsklasse, das höhere Gremeininteresse nicht
ausser acht lasse.
Das Verhältnis der Ober- und Unterwillen ist von grösster
theoretischer Bedeutung. Der Vertreter handelt, selbst wenn er
an die genauesten Instruktionen gebunden ist, ohne doch blosses
mechanisches Werkzeug zu sein, relativ spontan, aus freiem
Willen; er verfügt, da ohne Gewalt ein relevanter Wille nicht
gedenkbar ist, über eine diskretionäre, gleichsam delegierte Ge-
walt®, Die Organisation der staatlichen Gewalt bringt die
Trennung der Willenssphäre jedes Staatsorgans in eine rein
persönliche und eine staatliche. Jedoch ist diese Scheidung, da
sie weder scharf noch kontrollierbar sein kann, mehr oder weniger
auf Treu und Glauben gestellt. Die staatliche Gewalt trägt zwar
Garantien und Corrigentia in sich, die verhindern sollen, dass die
persönlichen Momente zu sehr in die staatliche Willenssphäre
hinübergreifen. Aber je weniger diese spezielle organisierte Ge-
walt an die Persönlichkeit herangelangen kann, desto mehr er-
scheint der persönliche als autoritärer Wille und sie versagt ganz
beim Monarchen, teils weil er seiner neutralen Stellung halber
(analog wie die Parlamentarier) von der Gerichtsbarkeit u. s. w.
#2 Mit der „Delegation“ soll nur die faktisch konzedierte Gewalt be-
zeichnet werden, es braucht ihr kein realer Akt zu entsprechen.