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bindenden allgemeinen Regeln, Rechtssätzen, durch die oberste Gewalt.
Dass das Landrecht gern und viel vom Gesetz spricht und dem Gesetz bei
jeder Gelegenheit seine massgebende Bedeutung zuweist, das liegt im Geiste
der Zeit; es wurde nie so viel vom Gesetz geredet als zu Ende des 18. Jahr-
hunderts, wo es sich anschickte, seine Rolle im Verfassungsrecht einzunehmen.
Für die Justiz und das weite Gebiet, das dieser der Polizeistaat zuwies, ist
auch im Landrecht seine Herrschaft voll und unbeeinträchtigt gemeint. Aber
für die Verwaltung? für das ausgedehnte Gebiet der Polizei, das ihren Kern
ausmacht? Mir scheint, dass auch das Landrecht das immer noch als ein
Gebiet ansieht, das eigentlich neben dem Herrschaftsbereich des Gesetzes
liegt und auf welches nur der Vollständigkeit halber von hier aus hingewiesen
wird.
Verf. sieht die „rechtsstaatliche Anschauung des Allgemeinen Land-
rechts mit voller Klarheit insbesondere sich spiegeln“ in & 87 der Einleitung
und in & 32 T. I Tit. 8. Der erstere lautet: „Handlungen, welche weder
durch natürliche, noch durch positive Gesetze verboten werden, werden er-
laubte genannt.“ Verf. unterstreicht hier das Wort Gesetze; ich möchte
meinerseits das Wort natürliche unterstreichen. Wenn man bedenkt,
welche Machtvollkommenheiten die Staatslehrer des 18. Jahrhunderts (der
nächstliegende wäre ja Car. v. WoLFF) zu Gunsten der Polizeigewalt aus
Naturrechtssätzen zu begründen wussten, wird man stutzig werden gegenüber
dieser Formulierung des Rechtsstaates. Der $ 32 T. I Tit. 8 sagt denn:
„In allen Fällen aber können Einschränkungen des Eigentums, welche nicht
aus besonderen wohlerworbenen Rechten eines anderen entspringen, nur
durch Gesetze begründet werden.“ Auch hier geht voraus die Erläuterung in
S 25: „Einschränkungen des Eigentums müssen also durch Natur, Gesetze
oder Willenserklärungen bestimmt sein.“ Sehen wir aber einmal, wie z. B.
FÖRSTEMANN — gewiss ein zuverlässiger Mann — in seinen Prinzipien des
Preussischen Polizeirechts 1869 den $ 32 erklärt: „Französischrechtlich, meint
er $. 454, darf im Wege polizeilicher Verordnung das Privateigentum Ein-
schränkungen unterworfen werden. Scheinbar weicht davon das Allgemeine
Landrecht ab. Denn es bestimmt in $ 32 T. I Tit.8 u. s. w. ... Der
Schein verschwindet aber, wenn man erwägt, dass das Allgemeine Landrecht
polizeiliche Verordnungen, selbst lokale, sehr oft Polizeigesetze nennt.“ Also
noch eine Art von Gesetzen, die ihrerseits weder verfassungsrechtlich noch
rechtsstaatlich bestimmt sind! Dazu bemerkt FÖRSTEMAMN noch weiter:
„Aber auch durch individuelle Verfügungen darf die Polizei zur Erfüllung
ihrer Mission in das Privateigentum eingreifen. Das würde sich schon aus
8 10 T. II Tit. 17 A.L.-R. für dessen Gebiet herleiten lassen.“ FöRstE-
MANN versteht wohl für die Zeit von 1869 diesen berühmten Satz als die
gesetzliche Grundlage, um derenwillen die Polizei „darf“. Allein ieh denke,
auch der Verf. wird nicht der Meinung sein, dass schon das Allgemeine
Landrecht ihn in diesem rechtsstaatlichen Sinne gemeint hat. Es erwähnt
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