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kann solche Eingriffe auch machen oder ermächtigen ohne Rechtssatz, durch
#inzelverfügung; Beispiel: die Beschlagnahme des Vermögens des ehemaligen
Königs von Hannover.
Der Verf. selbst scheint mir die wiederholt betonte Zusammenbindung
von Eingriff und Rechtssatz nachträglich wieder zu verleugnen, wenn er
8. 135 sagt, die gesetzgebende Gewalt bedeute, „dass jeder Rechtssatz und
damit jede rechtliche Verpflichtung des Staates wie des Einzelnen, jedes
Müssen und Dürfen unmittelbar oder mittelbar auf dem Willen des Gesetz-
gebers beruht“. Der Rechtssatz kann ja allerdings auch eine „rechtliche
Verpflichtung des Staates“ dem Einzelnen gegenüber bedeuten; dann ist er
offenbar kein Eingriff und doch der gesetzgebenden Gewalt als der rechts-
setzenden Gewalt vorbehalten. Der Verf. sucht dann wieder anzuknüpfen an
seine ursprüngliche Formulierung, indem er unmittelbar fortfährt: „dass ins-
besondere ein Zwang gegen Freiheit und Vermögen der Unterthanen nur
geübt werden kann durch ein Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes“. Das
Wort „insbesondere“ ist falsch; denn solche Eingriffe sind, wie gesagt, aller-
dings dem (tesetz vorbehalten, d. h. der in Form des Gesetzes ergehenden
staatlichen Willensäusserung, aber nicht dem Rechtssatz. Es handelt sich
also um zweierlei wesentlich verschiedene rechtliche Eigenschaften, Fähig-
keiten, Vorbehalte des verfassungsmässigen Gesetzes, die auch thatsächlich
getrennt zur Erscheinung und Wirksamkeit gelangen können. Sie können
freilich auch beide verbunden erscheinen, indem das Gesetz in Gestalt eines
Rechtssatzes Eingriffe macht oder ermächtigt. Das ist dann die eindrucks-
vollste Erscheinung der gesetzgebenden Gewalt. Es ist kein Wunder, wenn
man sie vor allem im Auge hat und hervorhebt. In den süddeutschen Ver-
fassungen z. B. wird geradezu der Begriff der gesetzgebenden Gewalt danach
bestimmt. So namentlich Bayr. Verf.-Urk. Tit. VII 8 2: Ohne die Stände
kann „kein allgemeines neues Gesetz, welches die Freiheit oder das Eigentum
des Staatsangehörigen betrifft“, erlassen werden. Hier erscheint beides ver-
schmolzen und sogar der formelle Gesetzesbegriff ist mit hineinverwebt,. Es
soll heissen: nur mit den Ständen kann ein Gesetz erlassen werden, nur ein
solches Gesetz kann neue allgemeine Regeln, Rechtssätze machen und nur
ein solches Gesetz kann auch Eingriffe begründen. Die praktische Hand-
habung löst, wie mir scheint, ohne Schwierigkeit die einzelnen Elemente aus
dieser Verschlingung und bringt sie zu selbständiger Geltung. Die Theorie
aber hält sich mit Vorliebe noch an jene zusammenfassende, meines Er-
achtens ungenaue Formulierung. Der Verf. steht damit durchaus nicht
allein; im Gegenteil, er hat den herrschenden Brauch für sich.
Otto Mayer.