Full text: Archiv für öffentliches Recht.Siebzehnter Band. (17)

zweiten Teil dieses Artikels ausgedrückten Regel in den russi- 
schen Gerichten sich eine gewisse Tradition zu Gunsten der An- 
wendung ex officio ausländischer Normen herausgebildet hat. 
Es fragt sich jedoch, auf welche Weise vergewissert sich das 
Gericht über den Inhalt des ausländischen Rechts? Es ist ja 
wahr — jura novit curia, trotzdem ist es in praxi wohl ınöglich, 
von den’ Gerichtsbehörden eine Kenntnis der gesamten Gesetz- 
gebung des Erdballes zu verlangen? Oder ein anderer Einwand 
— noch mehr praktischen Charakters —: ist wohl bei den Rich- 
tern ein solcher Vorrat linguistischer Kenntnisse vorauszusetzen, 
dass sie jeglichen Gesetzestext frei zu lesen und zu verstehen ver- 
mögen? Natürlich nicht... Was ist also in diesem Falle zu 
thun? Wie ist dieses rein äusserliche Hindernis aus dem Wege 
zu räumen? 
In Russland herrscht das Prinzip der völligen Freiheit des 
Gerichts, wobei Art. 709 C.-P.-O. demselben das Recht giebt, 
in denjenigen Fällen, wo Schwierigkeiten beim Anwenden aus- 
ländischer Gesetze entstehen, durch das Ministerium des Aeussern 
die betreffende ausländische Regierung um ein Gutachten in der 
entstandenen Frage anzugehen. Wie aus dem buchstäblichen 
Sinne dieses Artikels zu ersehen, ist das Gericht gar nicht ge- 
zwungen, sich in allen Fällen -behufs Erläuterung an das Mini- 
sterium zu wenden: erstens kann es selbst, dank verschiedenen 
Umständen, mit dem ausländischen Gesetz bekannt sein, zweitens 
kann es die von den Parteien gegebenen Auskünfte für die Sache 
genügend klärend ansehen u. s. w. In diesem Sinne interpretiert 
augenscheinlich auch die russische Gerichtspraxis Art. 709, 
denn im Falle Meunier-Bronchard (s. oben), um ein Beispiel an- 
zuführen, hatte es das Appellationsgericht: in Kiew für un- 
nötig befunden, von dem durch genannten Artikel gewährten 
Recht Gebrauch zu machen, da die Anwendung französischer 
Gesetze keine Schwierigkeiten hervorrief. Diese Entscheidung 
wurde von der Kassationsinstanz nicht angefochten; im Gegenteil,
	        
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