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dieser Lösung der Frage zu!®. Dabei laufen Argumente, die
zu Gunsten dieser Ansicht angeführt zu werden pflegen, haupt-
sächlich darauf hinaus, dass Interpretation einer ausländischen
Norm eine Frage der Thatsache sei und deshalb ausschliess-
lich von der Instanz abhängt, welche die Sache ihrem Wesen
nach beurteilt. Die Aufgabe der Kassationsinstanz dagegen ist
Vereinheitlichung der heimischen Jurisprudenz, die Kontrolle
über eine gleichförmige Anwendung des inländischen Rechts.
Seine Wachsamkeit kann sich nicht auf ausländische, ihm mög-
licherweise unbekannte Gresetzgebungen erstrecken und vor falscher
Interpretation bewahren. Es wäre eine Verletzung des juristi-
schen Gefühles, wenn z. B. das französische Kassationsgericht
beim Interpretieren eines russischen Gesetzes von dem Sinne ab-
weichen würde, der vom russischen Kassationshof festgestellt ist.
Wie unüberzeugend diese Argumente sind, sieht man sofort.
Wieso ist Interpretation ausländischer Gesetze nur eine Frage
der blossen Thatsache und nicht eine Frage des Rechts? Nur
dann könnte man sich damit einverstanden erklären, wenn An-
wendung oder Nichtanwendung fremder Gesetze vom Gutdünken
und freien Ermessen des Gerichts abhängig wären; thatsächlich
ist aber letzteres dazu verpflichtet, und der Hinweis der Parteien
kann nur als Hülfsmittel dienen, um den Inhalt der betreffenden
Norm festzustellen.
Auf diese Weise wird das ausländische Gesetz, dank der
Konfliktsnorm, sozusagen von dem inneren Recht recipiert,
seine Postulate werden für die Beurteilung des entstandenen
Streitfalles obligatorisch. Darum unterscheidet sich eine Ver-
letzung eines fremden Gesetzes in nichts von einer falschen An-
18 Op. BROCHER, Cours de droit international prive 1882, I; AssER-
Rıvier, loc. cit. u.a. Eine Analyse der wichtigsten Gerichtsentscheidungen
in diesem Sinne siehe bei LaurEnT, Le droit civil international 1880, II,
498 et suiv., und bei CoLın im Journal du droit international prive 1890,
p. 106 et suiv., 794 et suiv. Vgl. A. Weiss, op. cit. III p. 176.