— 554 —
wenn die Neigung lockte, nicht mehr den Gedanken so von der
Hand wies, wie es sonst wohl geschehen sein würde. An sich
haben Zuwiderhandlungen für diese Frage nicht allzuviel Gewicht;
die kommen bei allen Vorschriften, auch bei solchen von un-
zweifelhafter Bindung, vor. Aber es ist doch wohl nicht ohne
alle Bedeutung, wenn SEYLER®! nachweist, dass die allerdings
geringe Anzahl von Fällen, in denen Ehen von Hochadligen mit
Damen aus dem niederen Adel unbeanstandet geblieben sind, alle
in eine bestimmte Zeit, nämlich zwischen die Jahre 1660 und
1740 fallen. Das Eindringen von Geschlechtern des niederen
Adels in den Hochadel beginnt, wie wir oben sahen, 1616°%.,
Ihre abweichende Ehepraxis musste zur Nachahmung reizen.
Fünfzig Jahre später sehen wir sie wirklich eintreten. Und es
scheint eine Zeit lang, als ob das alte Recht zu weichen beginne,
als ob eine Umbildung in der Rechtsanschauung vor sich gehe.
Allein die Bewegung dringt nicht durch. Eine Reaktion findet
statt. Man erklärt die Neuerung für unzulässig und wendet
sich mit aller Entschiedenheit nicht nur gegen die neue Praxis
selbst, sondern auch gegen den Kaiser, der durch seine Sanie-
rungen solcher Fälle der Bewegung Vorschub leistete. Die oft
besprochenen Klauseln der Wahlkapitulationen sind der Aus-
druck hierfür. Nur vier Fälle waren bis 1700 vorgekommen;
dann begann schon der Kampf gegen die neue Richtung, der die
erste Hälfte des 18. Jahrhunderts füllt und mit einem Siege des
Ebenbürtigkeitsprinzips endigt. Nur ganz vereinzelt liessen alte
Herrengeschlechter das Ebenbürtigkeitsprinzip fallen und erlaubten
das Connubium mit Damen aus dem niederen Adel. So gestattet
die Primogeniturordnung der von den alten Zähringer Herzögen
3 Historisch-genealogische Prüfung der von Dr. Wırrma zusammen-
gestellten Beispiele unbeanstandet gebliebener Ehen reichsständischer Grafen
and Damen aus freiherrlichen Familien, Berlin 1897, S. 24 ff.
22 Hierbei ist von den Fugger, die ganz vereinzelt schon früher dahin
gelangten, abgesehen.