— 599 —
Sigm. Cybichowski, Art. 76 der Reichsverfassung. 8° 628. Breslau
1902. (Strassburger Inauguraldissertation.)
Alfr. Krick, Der Bundesrat als Schiedsrichter zwischen deut-
schen Bundesstaaten. 8°. 48 S. Leipzig 1903. A. Deichert
Nachf. (Rostocker rechtswissenschaftl. Studien Bd. 1 Heft 2.)
Die bisher schon ziemlich umfangreiche Litteratur über den Art. 76 R.-V,
wird durch die beiden genannten Abhandlungen, von denen erste beide Ab-
sätze, die andere den ersten Absatz des Artikels betrifft, wiederum erweitert.
Es sind natürlich schon oft erörterte Streitfragen, welche behandelt werden
und weder die Gesichtspunkte, nach welchen sie entschieden werden, noch
des dabei in Betracht kommende Auslegungsmaterial sind im wesentlichen
als neu zu bezeichnen.
Die Abhandlung von CysıcHowskı leidet an einer Neigung zur Buch-
stabeninterpretation. Sie stellt z. B. die Behauptung auf, dass der Abs. 2
mit den Worten: „Bundesstaaten, in deren Verfassung nicht eine Behörde
zur Entscheidung solcher Streitigkeiten bestimmt ist*, zu interpretieren sei,
dass in der Verfassungsurkunde eine solche Behörde bestimmt sein
müsse, und dass ebenso unter „Verfassungsstreitigkeiten“ nur Streitigkeiten
über die Auslegung einer Verfassungsurkunde zu verstehen seien. Als Argu-
ment hierfür dient namentlich eine Aeusserung des Abg. WıesERS im ver-
fassungsberatenden Reichstage, welcher meinte, dass es in Mecklenburg
keine Verfassungsstreitigkeiten geben könne, weil Mecklenburg keine „Ver-
fassung“ habe. Dabei wird übersehen, dass eine solche Aeusserung an sich
ein sehr unsicheres Interpretationmsittel ist, dass aber überdies in diesem
Falle die Absicht des Abg. Wıesers nicht dahin ging, die Bedeutung des
Art. 76 zu beleuchten, sondern die Öffentliche Aufmerksamkeit auf die Ver-
fassungszustände Mecklenburgs zu lenken. Auch sonst finden sich in der Ab-
handlung Ansichten, welche den Widerspruch herausfordern; z. B. dass ein
Reichsgesetz, welches den Verfassungsstreit durch eine Abänderung des
Landesrechts erledigt, den Erfordernissen einer Abänderung der Reichsver-
fassung entsprechen müsse, weil es eine Erweiterung der Reichskompetenz
enthalte; ferner, dass wenn der Bundesrat die Entscheidung des Verfas-
sungsstreits einem Gericht übertrage, die Gerichte des betreffenden Glied-
staates nicht verpflichtet seien, das Urteil des vom Bundesrat beauftragten
Gerichts zu befolgen.
Die Abhandlung von KrıcK behandelt ihren beschränkteren Gegenstand
ausführlicher und gründlicher. Beide Arbeiten beschäftigen sich natürlich
eingehend mit den beiden Hauptfragen, zu denen Art. 76 Abs. 1 Anlass
giebt, nämlich ob Thronstreitigkeiten als Verfassungsstreitigkeiten unter ver-
schiedenen Bundesstaaten anzusehen sind, und was unter dem Ausdruck „er-
ledigen“ zu verstehen ist. Hierbei wendet sich Krıck gegen eine Bemerkung
von mir, dass der Bundesrat zum Zwecke der Erledigung diejenigen Vor-