Full text: Archiv für öffentliches Recht.Siebzehnter Band. (17)

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Es war vorauszusehen, dass die Bundesgewalt auf die Dauer sich die 
unumschränkte Herrschaft der privaten Eisenbahngesellschaften über das 
Verkehrswesen des Landes nicht gefallen lassen konnte. Im Zusammen- 
hang mit der allgemeinen zentralistischen Tendenz und einer Reihe tech- 
nischer und sozialpolitischer Bundesgesetze wuchs langsam der Verstaat- 
lichungsgedanke heran, aber erst seit 1883 verdichtet sich diese Bundes- 
politik zu ernsten Rückkaufsvorschlägen, die aber vorläufig an den zentri- 
pedalen Kräften der Kantone scheiterten. Ein wirklicher Umschlag der 
Meinung erfolgte indessen erst später. Unterstützt wurde diese veränderte 
Volksstimmung, ohne die die Bundesgewalt nichts bei der Demokratie aus- 
richten konnte, durch die Thatsache, dass das Ausland der Hauptaktionär der 
Schweizerbahnen war, und die ausländischen Kapitalisten ihren Eisenbahn- 
besitz nur in den Dienst einer rücksichtslosen Dividendenpolitik stellten. 
Eigentümlicheweise gelang es aber den Finanzgruppen nicht, die Bahn- 
linien modernen Anforderungen entsprechend zu fusionieren und dann bei 
einem einheitlichen Betrieb zu einer gesunden Amortisationspolitik über- 
zugehen. Wäre diese private Fusionierung und Zentralisierung gelungen, so 
hätte sich wahrscheinlich die Notwendigkeit der Verstaatlichung dem schwei- 
zerischen Volke weniger lebhaft aufgedrängt. So aber sah dasselbe nur in 
der Verstaatlichung das einzige Mittel, die Zersplitterung im Bahnwesen zu 
beseitigen. 
Es war für die Eidgenossenschaft nicht möglich, die Verstaatlichungs- 
aktion ganz nach preussischem Muster durchzuführen. Eine solche Nach- 
ahmung des MaysacH’schen Systems scheiterte in erster Linie an der Preis- 
frage, da man die Aktien nicht nach den Börsenpreisen, sondern nach vor 
Gerichten auszutragenden Taxationen auf Rechnung des Bundes erwerben 
wollte. Preussen war natürlich über das Wesen der Börsenkursbildung 
ebenso gut unterrichtet, wie die schweizerischen Staatsmänner. Es hatte 
aber nicht mit einer Volksabstimmung und mit sonstigen radikal-demokra- 
tischen Einrichtungen zu rechnen. Ausserdem waren die Aktionäre, die aus- 
gekauft werden sollten, deutsche Kapitalisten. Der Instiokt der schweize- 
rischen Volksmasse sträubte sich dagegen, den Aktionären etwas zu „schen- 
ken“, zumal diese Aktionäre Ausländer waren. Mit dieser Volksstimmung 
hatten die schweizerischen Staatsmänner zu rechnen. Man verfiel deswegen 
auf den Ausweg des sog. konzessionsmässigen Rückkaufes, d. h. es wurden 
Normalkonzessionen erlassen, wonach der Rückkauf vorgesehen, die Rück- 
kaufstermine fixiert und die Rückkaufsbedingungen: gesetzlich umschrieben 
waren. Aber auch dieser konzessionsmässige Rückkauf versagte in der 
Praxis. Ganz abgesehen von der Finanzierung drohte er den Bund in end- 
lose Prozesse zu verwickeln. Infolge dessen entschloss man sich, das preus- 
sische System mit dem System des konzessionsmässigen Rückkaufs zu ver- 
binden. Auf diese Weise kam das Bundesgesetz vom 15. Oktober 1897 zu 
stande, dessen massgebender Artikel wie folgt lautet: „Der Bundesrat ist
	        
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