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individuellen Willens ist, welche direkt vom Gesetz abgeleitet und von ihm
bestimmt ist. (S. 698 ff.)
Ich habe versucht, die wichtigsten Grundsätze, welche der Verf. auf-
stellt, möglichst objektiv und kurz hier zusammenzustellen; auf die zahl-
reichen Einzelausführungen und namentlich auf die einen grossen Teil des
Werkes einnehmenden kritischen Erörterungen, welche der Verf. auch be-
sonders der neuesten deutschen staatsrechtlichen Litteratur widmet, kann
ich in dieser Besprechung nicht eingehen. Wenn ich ein Gesamturteil über
das Werk kurz zusammenfassen soll, so geht es dahin: Das Werk ist durch-
weg sehr interessant, aber wenig überzeugend. Es ist eine Wahrheit, die
keineswegs neu ist, dass das Recht der Ausdruck der sozialen Ordnung und
rechtlichen Volksanschauungen ist und dass die Gesetze, wenn sie diesem
Erfordernis nicht entsprechen, nicht von dauerndem Bestand sein können;
für die Jurisprudenz, auch die wissenschaftliche, kommt es aber nur auf
das positive und erkennbare, nicht auf das in der sozialen Struktur
enthaltene latente Recht an. Ebenso ist es eine unzweifelhafte und
keineswegs neue Wahrheit, dass alle Rechtsbefugnisse und Rechtspflichten
im objektiven Recht wurzeln und die Thatbestände an sich ohne Rechts-
wirkungen sind, sofern das objektive Recht sie nicht zu Voraussetzungen
solcher Rechtswirkungen macht. Aber dessen ungeachtet ist es nicht gleich-
gültig, ob Willensakte, Rechtsgeschäfte, diesen Thatbestand bilden, die
Rechtswirkungen also durch den individuellen Willen hervorgerufen und
durch ihn bedingt werden, oder ob sie unabhängig von diesem Willen ein-
treten. Während man z. B. bisher sich damit zufrieden gab zu sagen, dass
der Monarch das Recht hat, das Parlament aufzulösen und damit das
Recht der Mitgliedschaft der Abgeordneten zu beendigen, müsste man nach
Duguit sagen: Wenn der Monarch den Willen erklärt, das Parlament auf-
zulösen, so ist dies ein rein thatsächlicher Vorgang ohne alle juristische
Wirkung. Wenn aber dieser Wille in einer dem objektiven Recht entsprechen-
den Form erklärt wird, so knüpft das objektive Recht daran die Wirkung, dass
die einzelnen Abgeordneten aus dem durch das objektive Recht infolge des
rein thatsächlichen Faktums ihrer Wahl ihnen zugewiesenen Kreis von ob-
jektiven Funktionen und objektiven Pflichten ausscheiden. Was ist damit
sewonnen? Ebenso glaube ich nicht, dass die Eliminierung der Begriffe
der Staatspersönlichkeit, der Staatsgewalt, der Herrschaftsrechte, der Staats-
organe, der Dienstgewalt u. s. w. zur Verbesserung der Dogmatik des
öffentlichen Rechts gereicht. Laband.