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Dr. Adolf Arndt, o. ö. Professor in Königsberg, Das selbständige Ver-
ordnungsrecht. Zugleich eine Streitschrift für die historisch-kriti-
sche Methode. Berlin, J. Guttentag, 1902. VII u. 279 8.
Die Schrift bildet die Antwort auf die, welche AnscHüTz jüngst gegen
den Verf. gerichtet hat. Es war vorauszusehen, dass sie kommen würde.
Auch eine sehr scharfe Tonart war zu erwarten. In dieser Hinsicht hat es
ja auch AnscHÜütz nicht fehlen lassen.
Um zu untersuchen, was im modernen Staate dem Gesetze zusteht, würden
wir mit dem Verf. vom formellen Begriffe des Gesetzes ausgehen. Die Frage
ist, ob dem in solcher Form erzeugten Staatswillen insbesondere auch die aus-
schliessliche Kraft zukommt, Rechtssätze zu schaffen, der Art, dass alle anderen
Rechtsetzungsformen diese Kraft von ihm ableiten müssen. Thatsächlich werden
mancherlei Vorschriften erlassen, welchen eine gesetzliche Grundlage abgeht.
Wer mit dem Verf. und anderen in diesen Vorschriften gleichwohl Rechtssätze
findet, der erkennt damit ein selbständiges Verordnungsrecht an, dessen Ab-
grenzung freilich eine nicht unschwierige Aufgabe sein wird. Wer dagegen, an
der Unbedingtheit jenes Vorzugs des Gesetzes festhaltend, diesen Regeln die
Rechtssatznatur absprechen will, der muss, sofern er sie nicht einfach für
ungültig erklären kann, ihre rechtliche Wirksamkeit auderweit zu begründen
suchen, aus der Dienstgewalt, aus der Anstaltsgewalt u.s.w. Nicht ob die An-
ordnung wirkt, sondern wie sie wirkt, das wird praktisch in den allermeisten
Fällen allein der Streit sein, ob in der Weise des Rechtsatzes oder anders.
Die Frage spielt also auf dem Boden der juristischen Kernbegriffe, die wir
uns bemühen nach dem Muster des Civilrechts für das öffentliche Recht
immer feiner herauszuarbeiten.
Der Verf. richtet einen grossen Teil seiner Ausführungen gegen den
von ANSCHÜTZ aufgestellten Rechtssatzbegriff, der immer einen Eingriff in
Freiheit und Eigentum verlangt. Damit ist Anscaürz im Irrtum; ich habe
das im Archiv für öffentl. Recht ebenfalls schon hervorgehoben. Der Verf.
feiert hier ausgedehnte Triumphe.
Was er seinerseits über den Rechtssatz äussert, scheint mir freilich
noch bedenklicher.
Wenn er alsbald (S. 4 Note 1) anerkennt, „dass ein jedes Gesetz (im
formellen Sinne) einen Rechtssatz enthält“, so eröffnet das schon die Aus-
sicht auf eine gewisse Freigebigkeit mit diesem Namen, mit der sich eine
feste Bestimmtheit des Begriffes kaum verträgt.
Grossen Wert legt er auf die Betonung des formellen Sinnes, in welchem
die „Verwaltungsvorschrift“ allein verstanden werden darf. Es ist, wie er
S. 244 zusammenfasst, falsch, darin „bloss eine Vorschrift für die Verwal-
tung“ zu sehen, vielmehr bedeutet Verwaltungsvorschrift schlechthin „jede
Vorschrift, die von der Verwaltung, nicht vom Gesetzgeber erlassen wird“.
Das hat seine Spitze gegen eine Ueberschätzung des Rechtssatzes, die er in
der heutigen Litteratur wahrzunehmen glaubt. Die Frage, ob Rechtssatz