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Ein Beispiel bietet die Armengesetzgebung: der Rechtssatz, dass die Ge-
meinde den Unterstützungsbedürftigen helfen muss, würde normalerweise
diesen einen Rechtsanspruch geben auf das hiernach zu Leistende; das Ge-
setz hat das nicht gewollt, es hat diese Wirkung ausgeschlossen. Dass die
anderen Armenverbände auf die rechtssatzmässige Unterstützungspflicht An-
sprüche gründen können, bleibt bestehen. Wenn ein Gesetz jegliche äussere
Wirkung der Anweisung, die es giebt, ausschliessen würde, dann würde
man thatsächlich eine blosse Dienstanweisung haben und den Satz als
solche behandeln müssen. Nun scheint es uns aber selbstverständlich, dass
nicht leicht anzunehmen ist, dass ein Gesetz eine derartige Einschränkung
seiner Wirkung gewollt habe. Wozu hätte man diese wirkungsfähige Form
des Staatswillens gewählt, wenn man diese Wirkung nicht auch zur Geltung
bringen wollte! Deshalb scheint es uns auch unrichtig, wenn das Reichs-
gericht ohne weiteres aufstellt, dass „bei den Organisationsgesetzen der Ge-
setzesinhalt sich in Anweisungen für Verwaltungsbehörden erschöpft“. Es
fügt als Beleg hinzu: „die Gesetzesvorschriften, welche z. B. die Bildung
der Schwurgerichte regeln... . sind Rechtsnormen“ — sie sind es, weil sie
sich nicht in Anweisungen für die Behörden erschöpfer, sondern der An-
geklagte ein Recht darauf hat, nur von einem in dieser rechtssatzmässig be-
stimmten Weise zusammengesetzten Schwurgerichte gerichtet zu werden.
Die rechtssatzmässige Organisation wirkt nach aussen. Verletzung einer
blossen Dienstanweisung, einer Verwaltungsvorschrift in diesem Sinne gäbe
dem dadurch Betroffenen gegenüber keine Rechtsungültigkeit.
Ich bitte diese Abschweifung zu verzeihen. Sie gehört eigentlich nicht
zur Sache. Denn für die hier bekämpften Aeusserungen dürfen wir den
Verf. nicht verantwortlich machen. Er müsste denn etwa als Bestätigung
seiner Lehren jeden lapsus in Anspruch nehmen, der geeignet ist, die Lehre
vom Rechtssatz zu verwirren.
Der Verf. steht übrigens unseren Anschauungen gar nicht so fern. Er
ist seinerseits bestrebt, an den vielerlei Vorschriften, die er als Rechtssätze
anerkennt, rechtssatzartige Wirkungen nach aussen aufzuweisen. Es reicht
nur nicht immer aus. So meint er z. B. von den Schulregulativen: sie seien
wohl zunächst Dienstbefehle an die Lehrer, aber sie bestimmen zugleich, was
die Kinder lernen und nicht lernen sollen; sie greifen damit in die „Rechts-
sphäre der Bürger weit tiefer ein als das ganze Bürgerliche Gesetzbuch“,
sind also Rechtsnormen ($. 111, 146). Ebenso sind die Vorschriften über
Anstellung, Gehalt, Alters- und Funktionszulagen, Reisekosten und Tage-
gelder u. s. w. „um so mehr Rechtsnormen, als die in Frage stehenden Vor-
schriften nicht lediglich der Beamten wegen erlassen sind, sondern um den
Bürgern eine erwünschte Garantie für volkstümliche und gesetzliche Amts-
verwaltung zu geben“ ($. 162). Aber das sollen doch keine Rechtssatz-
wirkungen sein? Der Rechtssatz ist keine blosse Titulatur, die man durch
kräftige Ausdrücke verleihen könnte Es hat rechtliche Bedeutung, wenn