Full text: Archiv für öffentliches Recht.Achtzehnter Band. (18)

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schäftigt. Aber wie verdeutlicht er ihn in seiner Lehre von der Trennung 
der Gewalten? Durch die wiederholte Bezeichnung als „höchste Gewalt“ 
wird sich noch niemand besonders gefördert fühlen. Aus der Art, wie er 
bei seiner vorerwähnten Argumentation damit verfährt, muss man schliessen, 
dass er sich selbst nicht recht darüber klar geworden ist. Denn hier werden 
die in der gesetzgebenden Gewalt enthaltenen beiden Fähigkeiten: Rechts- 
sätze zu wollen und Eingriffe zu wollen, in der unbefangensten Weise durch- 
einander geworfen. 
Welches sind denn die Rechtssätze, die die Grundrechte zu Gunsten des 
Gesetzes ausschliessen d.h. diesem vorbehalten? Ich weiss nicht, ob es ge- 
stattet ist, die Worte des Verf. so zu nehmen, wie sie lauten. Wir müssten 
dann sagen: er versteht darunter zuweilen die thatsächlichen Eingriffe, die 
Verfügungen unmittelbar selbst, mit welchen der Staat den Unterthan im 
Einzelfalle anfassen kann. So sagt er zu Art. 7 der Verfassungsurkunde 
(S. 75): „Die Entziehung Jemandes von dem gesetzlich für ihn bestellten 
Richter und Unterstellung unter einen anderen ausserordentlichen Richter ent- 
hält doch eine Rechtsnorm.“ Ebenso zu Art. 9 (S. 76): „Dass Entziehungen 
und Beschränkungen des Eigentums Rechtsnormen sind, ist selbstredend.“ 
Die Vornahme der Enteignung also eine Rechtsnorm! Dergleichen findet sich 
mehr. Ich will nur noch auf einen ähnlichen Gedankengang verweisen, der 
sich S. 124 ergiebt bei Besprechung einer Aeusserung von STAHL. Dieser hatte 
in der Kammer von dem Falle geredet, dass beim Herannahen der Pest ein 
Militärkordon gezogen wird und die Soldaten Befehl haben, auf jeden zu 
schiessen, der durchbrechen wollte; diese „Verwaltungsmassregel* werde 
durch das Notverordnungsrecht zulässig gemacht. Der Verf. sieht darin den 
Beweis, dass STAHL unter einer Verwaltungsmassregel nicht „den Gegensatz 
zu einer Rechtsverordnung“ verstanden habe; denn „zweifellos ist doch die 
Bedrohung mit Lebensverlust eine Rechtsnorm im eminentesten Sinne“. 
Man könnte nun sagen, der Verf. hat sich nur ungenau und unrichtig 
ausgedrückt; er schreibt in der Tbat einen sehr nachlässigen Stil. Allein 
es handelt sich doch nicht so einfach um Entgleisungen; vielmehr steckt ein 
ganz guter — vielleicht sagen wir besser: ein böser — Sinn dahinter: Die 
Grundrechte richten sich in der That gegen solche Einzelakte und fordern, 
dass diese nur nach dem Willen des Gesetzes geschehen dürfen; da nun 
Verf. für die Zwecke seiner grossen Argumentation festhalten muss, dass 
das, was die Grundrechte ausschliessen oder vorbehalten wollen, ohnehin 
Rechtssatz sei, so ist er geradezu darauf hingedrängt, diese Einzelakte mit 
dem Begriff Rechtssatz zu umfassen. 
Wir nehmen an, dass er es eigentlich doch nicht so meint. Aus 
manchen Stellen geht es auch deutlich hervor, dass er nicht den unmittel- 
baren Einzeleingriff im Sinne bat, sondern den gesetzlichen Rechtssatz, der 
ihn zu regeln bestimmt ist. Also z. B. nicht die Absetzung des Richters, 
sondern die gesetzliche Regel, die die Gründe bestimmt, aus welchen jene
	        
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