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durch italienische Städtestatute, die Zufügung des Begriffsmerkmales des
Wohlfahrtszweckes, die Kodifizierung der bezüglichen Vorschriften nach Ab-
schichtung strafrechtlicher Normen führen zur bewussten und richtigen Fest-
stellung des Wesens des Verwaltungsdelikts. In Deutschland bringt die
Rechtsentwicklung seit dem 16. Jahrhundert mit ihrer Verwirrung des
Polizeibegriffes, mit schrankenlosen polizeistaatlichen Eingriffen in die Rechts-
sphäre der Unterthanen und der Ausdehnung der staatlichen Verwaltungs-
thätigkeit auf Kosten der Justiz eine völlige Verwischung der Grenzen
zwischen Verfassungs- und Verwaltungsstrafrecht und damit einen bedeutenden
Rückschritt. In Frankreich blieb dem Verwaltungsstrafrecht durch die ge-
sonderte Behördenkompetenz und das Merkmal der Autoritätsverletzung der
ursprüngliche Charakter erhalten, doch fehlt es an einer systematischen
Scheidung vom Verfassungsstrafrecht. Italien ist noch immer vorbildlich. —
Die ganze bisherige Entwicklungsperiode, gekennzeichnet durch das Vor-
herrschen der Verwaltungsgewalt des Staats, nennt GOLDSCHMIDT die Ver-
waltungsepoche im Gegensatz zu der mit der sog. Aufklärungszeit beginnen-
den Reaktion der Rechtstheorien (Rechtsepoche), welche zum entgegen-
gesetzten Extrem führt: die Stellung des Verwaltungstrafrechts in den Dienst
der Rechtsordnung und die Anwendung des Satzes „nulla poena sine lege
et judicio* auf dasselbe. Der Gegenstand des Verwaltungsdelikts ist nun
die abstrakte Rechtsgütergefährdung, der Unterschied vom Rechtsdelikt nur
ein quantitativer. —
Der Autor begründet seine Darstellung mit eingehenden Untersuchungen
zahlreicher Gesetzbücher und zeitgenössischer Theorien, wobei es allerdings
an der Sichtung von Wesentlichem und Unwesentlichem, sowie an einer
Gliederung der oft ermüdend langen Kapitel fehlt. — Den Schlussabschnitt
des geschichtlich-rechtsvergleichenden Teils bildet die Betrachtung unseres
gegenwärtigen Rechtszustandes, den der Verf. unter besonderem Hinweis auf
das deutsche Reichsfinanzstrafrecht, den „einzigen Repräsentanten des un-
verfälschten Verwaltungsstrafrechts im Deutschen Reiche“, als den Wende-
punkt der Rechtstheorien und den Beginn der Erkenntnis der wirklichen
Natur des Verwaltungsdelikts bezeichnet.
Damit will GoLpschmiprt die im 19. Jahrhundert herrschenden Rechts-
theorien über die Natur des sog. Polizeiunrechts widerlegt haben. Die Ab-
grenzung des Zieles durch die Schranken eines ganzen Jahrhunderts, und noch
dazu des letztverflossenen, kann nun gerade keine glückliche genannt werden.
Hat sich doch in diesem Zeitraum der Umwandlungsprozess des Polizeistaats
zum Rechtsstaat vollzogen, hat doch darin eine gewaltige Umwälzung der
Anschauungen über Staat und öffentliches Recht stattgefunden, ist doch erst
in der zweiten Hälfte dieser Epoche eine Verwaltungsrechtswissenschaft er-
blüht, als deren jüngsten und lebenskräftigsten Zweig wir die fein durch-
dachte juristische Richtung anzusehen gewohnt sind. Diese heterogenen, teil-
weise längst überholten Standpunkte als gemeinsames Angriffsobjekt hinzu-