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und mächtigen Nachbaren. Die Schweiz ist eben, was Import und Export
anbetrifit, viel stärker auf das Ausland angewiesen als das Ausland auf sie.
Das wird sich, wie der Referent hinzufügen möchte, auch bei den zukünf-
tigen Handelsvertragsverhandlungen mit Deutschland, wo die Schweiz wenig
Glück mit den bereits jetzt angedrohten extremen Gegenmassregeln haben
wird, zeigen. Der Hauptfehler aber der schweizerischen Wirtschaftspolitik
liegt, wie gesagt, in ihrer Notenbankpolitik, d. h. in dem Fehlen einer vom
Bunde errichteten Zentralbank, gegen die föderalistische Prinzipienreiter und
Interessierte sehr kurzsichtig bezw. mit sehr durchsichtigen Gründen zu
Felde ziehen, und ferner in der Zugehörigkeit der Eidgenossenschaft zur
Lateinischen Münzunion, die die kleine Schweiz dem grossen Frankreich in
währungspolitischer Hinsicht bedingungslos überliefert hat.
In Fachkreisen, die sich mit dem Notenbankwesen eingehender zu be-
schäftigen pflegen, ist längst anerkannt, dass die grosse Anzahl von kanto-
nalen Banken mit dem Notenprivileg in der Schweiz eine vernünftige Diskont-
politik, welche die Interessen des Landes denjenigen der einzelnen Bank
voranstellt, unmöglich macht. Die einzelnen Notenbanken sind, um ihre
Noten im Umlaufe zu erhalten, genötigt, sich gegenseitig im Diskontgeschäft
zu unterbieten, und jagen sich gegenseitig ihre Barschaft ab. Sobald aber
ein Notenmangel eintritt, wird das Aktienkapital erhöht, damit man vom
Bunde ein höheres Kontingent bewilligt bekommt. Dazu kommt noch, dass
die meisten schweizerischen Notenbanken in ihrem Geschäftskreis nicht be-
schränkt sind und sämtliche Arten von Bankgeschäften betreiben dürfen.
Die Notenbanken bewilligen also nicht nur den Kredit zu billigen Sätzen,
sondern stellen auch an die Qualität der diskontierten Wechsel nicht allzu
strenge Anforderungen. Alle diese Umstände, zu denen noch eine ganz un-
ıationelle Notenbesteuerung hinzutritt, wirken zusammen, um den Noten-
banken jede Kontrolle über den Geldmarkt zu rauben und ihnen eine ziel-
bewusste Diskontpolitik, die den einheimischen Geldmarkt und den Barvorrat
der Banken gegen den Edelmetallabfluss schützt, wobei namentlich der Ab-
fluss nach Frankreich in Frage kommt, ungemein zu erschweren.
Nun hat man sich freilich dadurch zu helfen gesucht, dass wenigstens
die grösseren Institute sich zu einem Konkordat — „Konvenium“ genannt —
vereinigt haben. Aber dieses „Konvenium“ hat nur vorübergehend eine
einheitliche Diskontpolitik, die dem Edelmetallabfluss energisch entgegen trat,
zuwege gebracht. In der Regel versagte auch dieses Mittel. Es fehlt also
in der Schweiz wie in Oesterreich, obgleich in letzterem, Lande eine Zentral-
bank besteht, an einer gesunden und kräftigen Diskontpolitik, wie sie die
deutsche Reichsbank seit langem betreibt. Eine solche Politik kann aber
nur durch ein Zentralinstitut, das der Bund errichtet und das mit der
famosen „Kantönliwirtschaft* energisch aufräumt, erreicht werden; und so
gipfeln die Refornıvorschläge KALkmAanns in der Forderung nach der end-
lichen Verabschiedung eines Bundesgesetzes, das die Schaffung einer Zentral-