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zu Grunde liegende Prinzip der Versammlungsfreiheit ein Zweifel nicht mehr
obwalten kann. Freilich fehlt es auch hier an geeigneten Ausführungs-
bestimmungen. VÖLSIngG musste deswegen bei seinen Untersuchungen über
die Handhabung des Versammlungsrechtes ebenfalls deduktiv vorgehen und
sich fast ausschliesslich an die Verwaltungspraxis halten. Das Resultat, zu
dem er kommt, ist folgendes:
1. Eine Anzeigepflicht für geplante Versammlungen besteht nach der
übereinstimmenden Praxis der Polizei nicht.
2. Die Befugnis zur Einberufung von Versammlungen ist keiner Be-
schränkung unterworfen.
3. Eine polizeiliche Ueberwachung der Versammlungen findet nur dann
statt, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung befürchtet wird; doch
bildet in den grösseren Städten die Ueberwachung der öffentlichen Ver-
sammlungen die Regel.
4. Versammlungen unter freiem Himmel werden wie andere Versamm-
lungen in geschlossenen Räumen behandelt.
5. Oeffentliche Aufzüge sind von einer polizeilichen Erlaubnis ab-
hängig.
6. Die Auflösung von Versammlungen hängt nicht von gesetzlich
fixierten Auflösungsgründen ab, sondern die Unterlagen zu einem solchen
Vorgehen der Polizeibeamten ruhen in der allgemein angenommenen Be-
rechtigung der Polizeibehörde, der Begehung von strafbaren Handlungen
vorzubeugen. Man wird annehmen dürfen, dass gegen den Auflösungsbefehl
seitens der Polizeibeamten eine Beschwerde an die vorgesetzte Behörde zu-
lässig ist. Gesetzliche Vorschriften hierüber giebt es allerdings nicht. —
Man kann also in Hessen mit dem Versammlungs- und Vereinsrechts-
zustande sehr wohl zufrieden sein und ist es auch, um so mehr, weil es dort
eine Verwaltungsbureaukratie, die gelegentlich einen polizeilichen Uebereifer
an den Tag legt, nicht giebt. Trotzdem ist der Rechtszustand, der gegen-
wärtig dort besteht, ein unklarer und deshalb unhaltbarer, und die VöLsme-
sche Arbeit beweist aufs neue, wie sehr uns in Deutschland bei der enormen
Rechtszersplitterung auf diesem Gebiete ein einheitliches Reichs-, Vereins-
und Versammlungsrecht not thut.
Giessen. M. Biermer.
Dr. Adolf Buchenberger, Grossh. Bad. Finanzminister, Finanzpolitik
und Staatshaushaltim Grossherzogtum Baden inden Jahren
1850 bis 1900. Zugleich ein Beitrag zur deutschen Finanzpolitik.
Heidelberg 1902. Geb. M. 7.—.
Der als Gelehrter wie als praktischer Staatsmann gleich verdiente
Leiter des badischen Finanzwesens hat diese höchst schätzbare Schrift seinem
Landesherrn zu dessen fünfzigjährigem Regierungsjubiläum dargebracht. In
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