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gestanden habe, und dass von da ab bis heute die Civil- und
Strafgerichtsbarkeit nur gemäss den Gesetzen ausgeübt werden
durfte. Abgesehen davon, dass zwischen der Karolingerzeit und
unserer die absolute Monarchie wenigstens in Preussen einen über-
brückbaren Zwischenraum bildet, so trifft die GnEistsche Theorie
nicht einmal für die ständische Zeit zu. In dieser Hinsicht will
ich kurz erwähnen, dass den Landständen in der Regel nur
solche Normen vorzulegen waren, welche in ihre eigenen wohl-
erworbenen Rechte eingriffen®, also nicht Militär-, Beamten-,
Organisationsangelegenheiten, auch nicht die sog. „gleichgül-
tigen“ Gesetze. Als solche galten nicht bloss in Mecklenburg,
sondern überall!’ diezwar zur Wohlfahrtspflege des ganzen Landes
dienenden, aber nicht die wohlerworbenen Rechte der Ritter- und
Landschaften berührenden. Dazu gehören vor allem die Prozess-
gesetze und das Privatrecht. In Preussen sind Gesetze hier-
über in der Zeit von 1823 bis 1848 niemals den Ständen vor-
gelegt worden, ohne dass man sich (im allgemeinen) jemals dar-
über beschwert hat. Beschwert hat man sich über die Ver-
ordnung, betreffend das Eheverfahren vom 28, Juni 1844, weil
diese den Zweck hatte, die Trennung der Ehe zu erschweren;
der Mandats-, der Bagatell-, der summarische Prozess war den
Ständen ebenso gleichgültig wie die Abkürzung der Verjährungs-
fristten oder die Kündigungstermine für Wohnungen. Jeder
konnte sich ja danach für die Zukunft einrichten; wohlerworbene
Rechte oder Interessen standen nicht in Frage. Daraus erhellt,
dass mit dem Eintritt Preussens in die Reihe der konstitutionellen
Staaten ein ganz anderes Prinzip zur Herrschaft gelangt ist.
Wenn von nun an die Gerichte nur vom Gesetzgeber erlassene
Normen anzuwenden haben, wenn nicht allein die materiellen,
sondern auch die formellen Vorschriften mit Einschluss der
organisatorischen für die Gerichte fortan nicht mehr ohne Landtags-
® BIEDERMANN, 8. v. Landstände bei Ersch und Gruber.
10 BIEDERMANN |. c. STAHL, Staatslehre II 388.