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lichkeit den der Herrenklassen, und der Kampf, den das Volk
gegen die Fürstenmacht geführt und der den Parlamentarismus
geschaffen hatte, richtet sich nun gegen das Parlament selbst.
So wie eine Menge der Uebelstände in der heutigen kapitalistischen
Wirtschaft sich daraus erklärt, dass die ständischen Machtverhält-
nisse und Gewohnheiten nachwirken, dass die Fabrikanten Adelige
sind, oder sich ihnen anschmiegen, während die Lohnarbeiter in
ihrer grossen Masse die Nachkommen der hörigen Bauern sind:
so wirkt der historische Verband mit dem alten Ständesystem
lähmend und aufreizend auf das politische Leben der Gegenwart,
auf die Zusammensetzung und Thätigkeit der Parlamente. Aehn-
lich, nur im Grade verschieden wirken auch die Elemente abso-
lutistischen Charakters, die man aufgenommen hat, z. B. das
Recht der Krone zur Ernennung von Mitgliedern, zur einst-
weiligen Gesetzgebung in Abwesenheit des Parlaments (8 14 der
österr. Verfassung) u. dgl.
Gar viele, vielleicht die meisten Klagen, die heute gegen
das parlamentarische System erhoben werden, haben ihren Grund
in diesem Mischlingscharakter und seinen Folgen, die man als
„Scheinparlamentarismus“ zu bezeichnen pflegt. Eine Kritik an
dem gegenwärtig bestehenden System, die in das Verlangen aus-
münden würde, man solle vor Beurteilung des Parlamentaris-
mus ihn zunächst rein einführen, so dass seine Konsequenzen
zu Tage treten können, hätte gute Gründe für sich. Dennoch
kann sich die Kritik auch jetzt schon gegen den Parlamentaris-
mus selbst richten, gegen die Wirksamkeit der echt parlamen-
tarischen Elemente, soweit sie aus der Struktur des Systems hervor-
geht. Eine solche Kritik der entstehenden Regierungsweise und
ihrer Gefahren zeigt den Weg, den man zu wandeln hat, um
letztere zu vermeiden und ich will sie hier vom Gesichtspunkte
des Rechts aus skizzieren.
Der Verfassungsstaat wird, weil das Parlament in erster
Linie Gesetzgebungskörper ist, öfters auch Rechtsstaat genannt.