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sich eine Lebensordnung gebildet, eine Organisation seiner sozialen
Beziehungen, die ihm entspricht, ein Recht. Um es allgemein
erkennbar zu machen, um Verstösse einzelner aus Unkenntnis
zu verhüten, wird ein Gesetz gemacht. Das Recht wird in Ge-
setzesform gefasst, „gespiegelt“, um das Wort EıkkEs von REPGow
zu gebrauchen. Das Volk erhält in ihm seine selbstgeschaffene
Ordnung, sein bisher bestandenes Recht aufrecht; nur klarer,
sicherer für den einzelnen, und sein Verkehrsleben wird dadurch
einen guten Antrieb zu weiterer Fortbildung erbalten. Haben
sich in der Folge die Verkehrsverhältnisse und sozialen Auf-
fassungen im Volke geändert, ist neues Recht entstanden, so ist
wieder die Zeit zu neuer Sammlung und Sichtung in Gesetzes-
form gekommen. Die Entwicklung geht langsam vorwärts, aber
sicher und in stetem Verband mit dem Leben des Volkes.
Das andere Schema ist: Gesetz, Recht, Gesetz. Es wird
ein Gesetz gemacht, damit eine ihm entsprechende Regelung des
Verkehrs entstehe, und wenn sie entstanden ist, wird wieder
ein Gesetz gemacht. Weshalb? Was giebt dem neuen Gesetz
seinen Inhalt? Man giebt doch nicht Gesetze aus Liebe zur
Paragraphen-Novelle. Die Erklärung ist sozial-psychologisch.
Das Gesetz, welches eine Ordnung im Interesse des Gesetzgebers,
seiner Klasse oder Partei einführen will, darf ein gewisses Mass
nicht überschreiten, das ihm die im Volke gelegene Kraft und
Erregbarkeit auferlegt. Geht es zu weit, verletzt es zu viele
und zu starke Interessen, so dringt es nicht ins Volk, regt es
zum Widerstand auf und verfehlt seine Wirkung. Der Gesetz-
geber rechnet also und geht so weit, als er es für praktisch
thunlich hält. Nunmehr ist das Gesetz gegeben und gilt. Das
Volk wird durch die exekutive Gewalt, die dem Gesetz zur Seite
steht, veranlasst, ihm zu gehorchen. Der Widerstand einzelner
wird gebrochen. Der Richter- und Gelehrtenstand fasst den
Inhalt des Gesetzes in Prinzipien, und Rechtslogiker verkünden,
es müsse so sein, die Vernunft oder die Natur des Menschen