Full text: Archiv für öffentliches Recht.Achtzehnter Band. (18)

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Die Wahlordnung bestimmt also die Zusammensetzung des 
Parlaments und seiner Majorität. Sie ist das wichtigste Mittel, 
um die parlamentarische Macht zu erlangen und zu behalten; als 
solches auch seit langem erkannt und benützt, bei Beginn der 
konstitutionellen Regierungsweise von Fürst und Ständen, im 
weiteren Verlauf von der jeweils herrschenden Partei. Man findet 
allenthalben Wahlordnungen, die man sich in ihrer Künstlichkeit, 
ihren unnötigen Verwicklungen, willkürlichen Abgrenzungen und 
Einteilungen als Systematiker nicht erklären könnte, und die nur 
klar werden, wenn man sie als politisches Machtmittel nach den 
Verhältnissen des Landes und der Zeit würdigt. Man findet 
immer als leitendes Motiv der Partei, welche die Wahlordnung 
bestimmt, sich einen möglichst grossen Einfluss auf Bildung der 
Parlamentsmajorität zu sichern. Die Wahlordnungen bei Beginn 
des Systems haben deshalb alle einen starken Einschlag aus der 
ständischen Ordnung, und in den meisten Ländern ist er noch 
bis heute geblieben. Aber auch sonst bietet das Studium der 
Kämpfe um die Wahlordnung zahlreiche Beweise für diese These. 
So ist, um nur ein Beispiel anzuführen, die Geschichte der Wahl- 
reformen in England ein fortlaufender Kampf des Adels um die 
Erhaltung seiner Macht. Er hat es auch durch die Art und 
Zeit, in der die Reformen vorgenommen wurden, zu erreichen 
vermocht, dass noch heute die Gentry im Unterhaus die gebietende 
Klasse ist. Freilich hat sie es besser als der kontinentale Adel 
verstanden, sich der neuen Wirtschaftsweise anzupassen, und ist 
in der Berufsklasse der Grossindustriellen zahlreich vertreten. Aber 
die Beschränkung des Wahlrechts auf das household franchise nimmt 
noch heute den meisten Arbeitern das Recht und verlegt den Schwer- 
punkt in die wohlhabende Klasse, welche GneEIsT direkt die regie- 
rende Klasse nennt (Englisches Parlament S. 365). Auch die Vor- 
schrift, dass relative Stimmenmehrheit genügt, lässt den Arbeitern 
bisher nur die Alternative, ihren Einfluss entweder gar nicht auszu- 
üben oder nur zu Gunsten eines der adelig-bürgerlichen Kandidaten.
	        
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