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Die Wahlordnung bestimmt also die Zusammensetzung des
Parlaments und seiner Majorität. Sie ist das wichtigste Mittel,
um die parlamentarische Macht zu erlangen und zu behalten; als
solches auch seit langem erkannt und benützt, bei Beginn der
konstitutionellen Regierungsweise von Fürst und Ständen, im
weiteren Verlauf von der jeweils herrschenden Partei. Man findet
allenthalben Wahlordnungen, die man sich in ihrer Künstlichkeit,
ihren unnötigen Verwicklungen, willkürlichen Abgrenzungen und
Einteilungen als Systematiker nicht erklären könnte, und die nur
klar werden, wenn man sie als politisches Machtmittel nach den
Verhältnissen des Landes und der Zeit würdigt. Man findet
immer als leitendes Motiv der Partei, welche die Wahlordnung
bestimmt, sich einen möglichst grossen Einfluss auf Bildung der
Parlamentsmajorität zu sichern. Die Wahlordnungen bei Beginn
des Systems haben deshalb alle einen starken Einschlag aus der
ständischen Ordnung, und in den meisten Ländern ist er noch
bis heute geblieben. Aber auch sonst bietet das Studium der
Kämpfe um die Wahlordnung zahlreiche Beweise für diese These.
So ist, um nur ein Beispiel anzuführen, die Geschichte der Wahl-
reformen in England ein fortlaufender Kampf des Adels um die
Erhaltung seiner Macht. Er hat es auch durch die Art und
Zeit, in der die Reformen vorgenommen wurden, zu erreichen
vermocht, dass noch heute die Gentry im Unterhaus die gebietende
Klasse ist. Freilich hat sie es besser als der kontinentale Adel
verstanden, sich der neuen Wirtschaftsweise anzupassen, und ist
in der Berufsklasse der Grossindustriellen zahlreich vertreten. Aber
die Beschränkung des Wahlrechts auf das household franchise nimmt
noch heute den meisten Arbeitern das Recht und verlegt den Schwer-
punkt in die wohlhabende Klasse, welche GneEIsT direkt die regie-
rende Klasse nennt (Englisches Parlament S. 365). Auch die Vor-
schrift, dass relative Stimmenmehrheit genügt, lässt den Arbeitern
bisher nur die Alternative, ihren Einfluss entweder gar nicht auszu-
üben oder nur zu Gunsten eines der adelig-bürgerlichen Kandidaten.