Full text: Archiv für öffentliches Recht.Achtzehnter Band. (18)

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Noch viel deutlicher erscheint der Parteikampf, wenn man 
ein einzelnes Wahlgesetz und seine Geschichte zum Gegenstand 
der Kritik nimmt‘, 
Ganz auffällig tritt der verderbliche Einfluss des Partei- 
wesens bei dem Wahlakt hervor. Die grossen Humoristen 
Englands und Amerikas haben häufig den Wahlakt und seine 
Vorbereitung zum Gegenstand ihrer Satire gemacht. Man wäre 
geneigt, die grotesken Szenen, die sie schildern, ihrer dichterischen 
Phantasie zuzuschreiben. Aber jeder Zweifel an ihrer Darstellung 
schwindet, wenn man die englische Gesetzgebung verfolgt. Seit 
dem Jahre 1854 wurde eine Reihe von Gesetzen erlassen, eines 
strenger als das andere, welche den gemeinschaftlichen Namen 
führen: Corrupt practices prevention acts und bestimmt sind, 
Bestechung und Wahlmissbrauch zu verhindern. In dem Buch 
von Sır THoMmAs ErsKINE MAY, dem Clerc des englischen Unter- 
hauses, über das englische Parlament und sein Verfahren, einem 
Werk, das vollständig objektiv, ohne ein Wort eigenen Urteils, 
lediglich die bestehenden Grundsätze und Präjudizien für das 
Verfahren des Parlaments zusammenstellt, finden wir beispiels- 
weise den Satz: „Wurden besondere Berichte erstattet über 
° Ein typisches Beispiel wurde jüngst in Wien geliefert. Die Wiener 
Gemeindewahlordnung vom 19. Dez. 1890 hatte drei Wahlkörper, deren 
erste den grossen Besitz, der zweite die Intellektuellen (Advokaten, Aerzte, 
Beamte, Lehrer, Doktoren u. a.), der dritte den kleinen Besitz enthielt. 
Wenn grosser und kleiner Besitz im Streit waren, gaben die Intellektuellen 
den Ausschlag. Dieser Streit wurde dauernd, als die christlichsoziale Partei 
entstand; sie stützte sich auf das Kleingewerbe, die damals herrschende 
liberale Partei auf den industriellen Grossbesitz. Die Unzufriedenheit der 
Lehrer, veranlasste den zweiten Wahlkörper, sich 1896 für die christlich- 
soziale Partei zu entscheiden und ihr dadurch zur Herrschaft zu verhelfen. 
Aber er war der letzteren zu unverlässlich. Sobald sie die Majorität im 
Landtag erhielt, änderte sie die Gemeindewahlordnung derart, dass das 
Kleingewerbe auch im zweiten Wahlkörper entscheidend wurde, und ihr die 
Mehrheit sichert, solange das Kleingewerbe ihr anhängt. Ebenso tendenziös 
wurde 1896 das Landtagswahlrecht in Sachsen geändert. 
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