Full text: Archiv für öffentliches Recht.Achtzehnter Band. (18)

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Majoritätsdespotismus, gemässigt durch Obstruktion, bezeichnen. 
Denn Despot kann nicht bloss ein Fürst sein. Es giebt ebenso 
Kabinettsjustiz der Mehrheit, auch Kabinettsjustiz der obersten 
Behörde. Wer in einem Falle den letzten Spruch zu fällen 
hat und an Stelle unbefangenen Urteils ein sic volo setzt, macht 
sich ihrer schuldig. 
Die Obstruktion ist die parlamentarische Revolte. Alle Er- 
klärung, alle Verteidigung und Verurteilung derselben liegt in 
diesem Wort. Es giebt zweifellos auch ein Notrecht der Revolution 
— wie es SCHILLER zeichnet — „wenn der Gedrückte nirgends 
Recht kann finden“. Das Notrecht der Obstruktion hat geringere 
Folgen und deshalb auch geringere Vorbedingungen. Aber sie 
bleibt ein Notrecht, nur ein Angriff auf Existenzbedingungen 
kann sie begründen. 
Im allgemeinen herrscht die Majoritätspartei und die Gesetze 
tragen ihr Gepräge. Die Gesetzmache unter dem parlamenta- 
rischen System ist berüchtigt. Alle Parteien haben nur das 
Bedürfnis, ihre Parteiwünsche erfüllt zu sehen; was sonst im 
Gesetz steht, ist ihnen ziemlich gleichgültig. Die Form des Ge- 
setzes wird daher vernachlässigt; wer Klarheit oder gar Schön- 
heit des Textes in die Debatte zieht, gilt als Verschlepper und 
Störefried. Oft werden nur allgemeine Begehren als sogenannte 
Grundsätze im Gesetz ausgesprochen, sein sonstiger Inhalt wird 
auf den Weg der Verordnung gewiesen (Ermächtigungsgesetze). 
Es kommen auffallende Fehler im Ausdruck vor, selbst Druck- 
fehler, die den Sinn des Gesetzes verfälschen, dennoch aber beide 
Häuser des Parlaments durchlaufen und nicht erkannt werden°. 
° Ein auch aus anderem Grunde bemerkenswertes Beispiel fand ich 
in dem österreichischen Gesetz vom 1. Nov. 1862 hetreffend das Promessen- 
geschäft. Dort heisst esim $ lc: „Die Veräusserung der Gewinnsthoffnung muss 
mit der Verpflichtung geschehen, im Falle der Verwirklichung der Gewinnst- 
hoffnung das Los gegen eine vereinbarte Vergütung zu übergeben, oder den 
entfallenden Gewinn, wenn in der bedungenen Zeit das Los nicht begehrt wird, 
nach Abzug der vereinbarten Vergütung und Erlag der Kosten für den
	        
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