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Die Gesetzmacherei, die sich hieraus entwickelt, hat LOTHAR
BucHer für England berechnet. Wenn man den Jahresdurch-
schnitt der dortigen Gesetze für jedes Jahrhundert vom 13. bis
19. zieht, so erhält man die Ziffern 1, 6, 9, 20, 24, 125, 330.
Es kommen derzeit in England schon mehr Gesetze auf ein Jahr,
als das Jahr Arbeitstage zählt, und die kontinentalen Parlamente
ahmen das Beispiel des englischen nach. Bei einer solchen Ge-
setzeshäufung muss selbstverständlich jede Sorgfalt in der Form,
jede Vorsicht bei der Ausgestaltung, ja selbst bei Erwägung der
Folgen, die ein neu aufgestellter Grundsatz nach sich ziehen
würde, vernachlässigt werden !°,
Zum Charakter der parlamentarischen Gesetze trägt noch
ein besonderer Umstand bei. Das Parlament hat vielfach auf-
gehört, Parlament zu sein, d.h. ein Ort, in welchem man die
Beschlüsse, die man fassen will, miteinander berät. Die Debatte
in der öffentlichen Sitzung ähnelt der Schlussversammlung im
mittelalterlichen Strafprozess. Sie ist eine Formalität. Alles ist
Berechtigten zu Gericht zu erlegen.“ Man versuche den Sinn der Worte „und
Erlag der Kosten“ zu ergründen! Die durch die Akten gegebene Erklärung
besteht darin, dass der Verfasser der Regierungsvorlage geschrieben hatte,
„und der Kosten“. Die Fassung erschien ihm aber dann unklar und er
schrieb darüber „Erlag“. Das Wort sollte selbstverständlich zwischen „der“
und „Kosten“ eingeschaltet werden; es sollte heissen „und der Erlags-
kosten“. Der Setzer verstand dieses nicht, druckte „Erlag der Kosten“, und
so passierte der Wortlaut die Ausschüsse, die Häuser und ging in das ver-
Ööffentlichte Gesetz über. Das Gesetz ist in hunderttausenden Exemplaren
verbreitet, weil es auf der Rückseite jeder Promesse steht, und doch hat
niemand den Fehler gesehen. Ein beredter Beweis (das ist der besondere
Grund, aus dem ich gerade dieses Gesetz als Beispiel anführe), dass der
vorgedruckte Inhalt einer Urkunde, insbesondere ihrer Rückseite von dem
Empfänger nicht gelesen wird und deshalb nicht als von ihm angenommen
gelten darf.
'% Der theoretische Streit, wie weit die Befugnis des Richters gegen-
über einem Gesetz gehen soll, — der jetzt in Deutschland und Oesterreich
geführt wird — hat seinen konkreten Grund zum Teil in der unrubigen par-
teipolitischen Gesetzgebung.