Full text: Archiv für öffentliches Recht.Achtzehnter Band. (18)

— 240 — 
treffen wir das Grundübel, an dem das System leidet. Jede 
Macht, die über das Volk herrschen will, muss dessen Wollen 
zwingen. Die Macht des Fürsten stützt sich zunächst auf körper- 
lichen Zwang, auf Polizei und Heer, die Macht der Kirche auf 
metaphysischen, indem es ihre Befehle als die einer allmächtigen 
belohnenden und strafenden Gottheit aufstellt. Solche Mittel 
stehen den Parlamentariern nicht zu Gebote. Sie sind vom 
Volke gewählt, von seinem Wollen abhängig. Ihre Herrschaft 
entsteht und erhält sich nur durch dieses. Soll das Volk ihnen 
trotzdem dienen, so muss es wollen, was ihnen genehm ist. 
Das selbständige Denken dessen, der beherrscht werden soll, ist 
dem, der herrschen will, stets unleidlich. Auch Fürsten und 
Priester wenden Mittel an, um das Volk nicht selbst denken zu 
lassen: als äusseres einen beschränkten Unterricht, als inneres 
Autoritätsglauben und Gehorsamsgefühl. (Eine prächtige Satire 
hierauf schreibt LynkEus, Phantasien eines Realisten: „Warum 
freuen sie sich eigentlich“.) Parlamentarier können zum letztern 
nicht greifen. Sie kommen aus dem Volk, sie sind ihren Wählern 
gleichgestellt und können ihnen nicht imponieren. Sie müssen 
daher ein anderes Mittel suchen, und finden es in der Fälschung 
des Volkswillens. Ich meine damit nicht die grobe physische 
Fälschung, obwohl auch sie bei einzelnen Anlässen angewendet 
wird, sondern die Verfälschung des Denkens, die Verführung 
durch Lüge, Leidenschaft und Selbstsucht. 
Das Mittel wird auch neben der metaphysischen Drohung von 
der Kirche gebraucht und hat im Jesuitismus seinen sprich- 
wörtlichen Ausdruck gefunden; ebenso von der Diplomatie im 
Verkehr der Staaten und anderen Ortes, wo der Abhängige 
herrschen will. Es lässt das Wollen bestehen und verdirbt es 
im Gehalt. 
Die Vorgänge beim Wahlakt und bei der Aemterbesetzung 
erscheinen, von diesem allgemeinen Gesichtspunkt aus, nur als 
einzelne Beispiele. Der Parlamentarismus erzeugt ein System
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.