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wohl dienstbar werden, so muss seine Temperamentsfolge — wie
ich es nennen will —, die Parteilichkeit, in ihrem Einfluss ge-
bunden werden. Man weiss das und versuchte schon mancherlei
Mittel. Die wirksamsten sind jene, die gewisse Gebiete dem parla-
mentarischen Getriebe entziehen. Zu ihnen gehört vor allem
die Festsetzung von Grundrechten der einzelnen, von Indi-
vidualrechten, um ein Wort aus der Gesellschaftstheorie zu ge-
brauchen, auf der der Parlamentarismus ruht. (OÖFNER, Recht zu
leben.) Sie sind entweder Freiheitsrechte (Menschenrechte !),
und schaffen dem einzelnen eine Sphäre, in der er dem Partei-
kampf entzogen ist, oder Gleichheitsrechte (Staatsbürgerrechte),
Ausfluss der Mitzugehörigkeit zum selbstherrlichen Volk. Solche
Grundrechte sind entweder jeder Majorisierung entzogen oder
können doch nur durch eine gesteigerte, für Verfassungsänderun-
gen nötige Majorität verletzt werden. Je heftiger das öffentliche
Leben pulsiert, desto mehr gewinnen die Freiheitsrechte an Be-
deutung. Man verwechselt häufig den Schutz der Individualität
mit Individualismus. Der letztere bezeichnet aber ein soziales
System, das die Gesellschaft in eine Summe alleinstehender, auf
sich allein bedachter Individuen auflöst; der Schutz der freien
Persönlichkeit gegenüber den Augenblicksgewalten der Gesell-
schaft erhält dagegen die dauernde Grundlage der Sozialität.
Ein (Grundrecht zweiter Art ist insbesondere das Wahlrecht.
Wer im parlamentarischen System das Wahlrecht nicht hat,
gehört nicht zum selbstherrlichen Volk, ist ein Geduldeter, ein
Unterthan.
Der parlamentarischen Majorisierung entzogen wird allge-
mein die Judikatur in Privatsachen. Die „Trennung der Ge-
walten“, ein konstitutionelles Dogma, hat hauptsächlich die Un-
abhängigkeit des Richterstandes von der gesetzgebenden Gewalt
im Auge. Der Streit der Parteien soll das Recht des Individuums
4 JELLINEK, „Erklärung der Menschenrechte“, und „Staatslehre“ S. 373 fi.