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Majorität Mittel schaffe, welche ihre Macht wirksam
beschränken?
Allerdings lehrt uns die Erfahrung, dass die Entwicklung
eines Systems nicht nach der Konsequenz der es unmittelbar
bestimmenden Triebkräfte vor sich geht. Jedes System hat schon
in sich Antinomieen. Das parlamentarische hat sie in der Stel-
lung der Minoritätspartei. Sie kämpft unter dem Gesichtspunkt
des mit dem Interesse der Majorität nicht identischen Gesamt-
interesses, sie verlangt Achtung vor dem Recht, Rücksicht für die
Minorität. Wenn sie zur Majorität wird, so kann sie sich der Kon-
tinuität der Meinung, dem Druck ihrer eigenen Argumente, die
jetzt gegen sie aufgenommen werden, nicht ganz entziehen. Oft
gelangt sie auch nur vorübergehend zur Macht und sieht dann,
wenn sie sich ihrer Lage bewusst wird, für ihre wiederkehrende
Minoritätsstellung vor. So sorgt denn schon die Konsequenz
des Parteilebens für manche Beschränkungen. Die Triebkraft
des Systems muss aber auch mit anderen gesellschaftlichen Ener-
gieen paktieren, um das System zu erhalten. Die Regierungsform
ist, wie alle formalen gesellschaftlichen Erscheinungen, Funktion
der realen, insbesondere der wirtschaftlichen und der durch sie
erzeugten Klassen und Kräfte. Diese Abhängigkeit gilt um so mehr
für den Parlamentarismus. Er schafft und erzieht sich selbst
seinen Herrn: das Volk.
Das Parlament unterscheidet sich, wie wir erkannt haben,
von Fürst und Kirche dadurch, dass es nicht unabhängig vom
Volke neben und über ihm besteht, sondern vom Volke gewählt
wird. Es herrscht über das Volk, wenn es ihm seinen Willen
einzuflössen vermag. Es wird von ihm abhängig, je mehr das
Volk sich an Selbstdenken, Selbsturteilen, Selbstwollen gewöhnt.
An die Stelle der Demagogie tritt dann die Demokratie, die
wirkliche Herrschaft des Volkes. Die wirksamsten Mittel, um
Rechtsgefühl in das Parlament zu bringen, sind deshalb alle jene,
welche das Verständnis, das Urteil, den Charakter im Volke