Full text: Archiv für öffentliches Recht.Achtzehnter Band. (18)

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selbst verstärken. Hiezu wirken gegen ihren Willen auch die 
Parteimänner mit. Mögen sie die Masse der Bevölkerung auch 
derzeit bei Massregeln, die ihr ferne liegen, die nicht anschaulich 
sind, sich gefügig machen: in dem Gebiet der unmittelbaren 
Lebenserhaltung kennt auch der gemeine Mann bald seinen Vorteil 
und verfolgt ihn. In diesem (Gebiet macht er sich bald zum 
Herrn seiner Gewalthaber und desto mehr, je weniger er an den 
allgemeinen W ohlfahrtseinrichtungen teilnimmt, je weniger er somit 
durch allgemeine Rücksichten gehemmt wird. Versprechungen 
mögen eine Zeitlang hinhalten; für die Dauer wird, wenn eine 
Klasse als Wähler Ausschlag giebt, auch für sie gesorgt. Damit 
aber entsteht allmählich, wenn der kleine Mann das Wahlrecht 
erhält, die Quelle des selbständigen Denkens für ihn — ein 
Minimum von Lebensbequemlichkeit. Solange der Mensch täglich 
nach erdrückender Arbeit, welche ihm die Lebenssorge aufzwingt, 
erschöpft und denkunfähig niedersinkt, ist er dem anderen ver- 
fallen, den er für sich denken lassen muss. Der Kampf der 
Arbeiterklasse um den Achtstundentag und einen Lohn, der sie 
befähigt, ein anständiges Hauswesen zu führen, ist nicht rein 
wirtschaftlicher Natur. Er hat weitere kulturelle Bedeutung. 
Er schafft dem Arbeiter Zeit zum Denken, er macht ihn sozial 
und politisch zum Staatsbürger. Ich erinnere mich lebhaft an 
die Antwort, die uns in der 1896 in Wien abgehaltenen Frauen- 
Enquöte eine baumstarke Arbeiterin gab, die sechs Jahre lang 
um 6—7 fl. Wochenlohn eine gefährliche Arbeit verrichtet hatte 
und, als sie von dem Herrn entlassen war, sich alsbald ihre Stel- 
lung verbesserte. Gefragt, warum sie nicht schon früher eine besser 
bezahlte Arbeit aufgesucht habe, erklärte sie („Arbeits- und Lohn- 
verhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen“ S. 367): „Wenn man 
am Abend aus der Fabrik nach Hause kommt, so ist das so, 
wie wenn man ein Pferd oder einen Ochsen aus dem Pflug spannt; 
man legt sich hin und denkt an gar nichts, auch daran nicht, 
dass man sich um eine bessere Stellung umschauen könnte.“
	        
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