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Grunde wird z. B. in Frankreich die Stellung einer grossen
Anzahl von besoldeten Beamten für unvereinbar mit der eines
Deputierten gehalten”, Man kann hierbei entweder von der
Ansicht ausgehen, dass der Beamte nicht die genügende Freiheit
der Regierung gegenüber besitzt, um seine Ansichten als Volks-
vertreter zu äussern, oder man kann umgekehrt sagen, seine
Thätigkeit als Abgeordneter schadet der regelmässigen und
unparteiischen Erfüllung seiner Amtspflicht. Die letztere Er-
wägung war z. B. massgebend für die Bestimmung, dass der
Präsident und die Mitglieder der preussischen Oberrechnungs-
kammer nicht Mitglieder eines der beiden Häuser des Landtages
sein dürfen !®,
Die genannte Konkurrenz der Pflichten ist aber kein Mangel,
keine Untauglichkeit der Person dessen, der beide auszuüben
hat. Der Grund dafür, dass ein solcher nicht Mitglied eines
Parlamentes sein kann, liegt lediglich in der Unvereinbarkeit der
Pflichten. Da nun kein persönlicher, insbesondere die Wählbar-
keit ausschliessender Mangel vorliegt, so muss derjenige, welcher
eine mit der des Volksvertreters unvereinbare Stellung hat,
wählbar sein, so z. B. Präsident und Mitglieder der preussischen
Oberrechnungskammer !?, Da er aber kraft Gesetzes nicht gleich-
zeitig den beiden unvereinbaren Pflichtenkreisen angehören kann,
so wird er, ehe er Volksvertreter wird, aus seiner früheren
Stellung ausscheiden müssen.
Wie ist es nun mit den Personen, welche deshalb nicht
einer Kammer angehören dürfen, weil sie Bestandteil eines anderen
gesetzvereinbarenden Organes sind? Liegt bei ihnen Untaug-
lichkeit der Person oder Unvereinbarkeit der Stellungen vor?
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'" Meyer, Wahlrecht S. 473.
"®* Meyer, Wahlrecht S. 478,
® Meyer, Wahlrecht S. 478 in Verbindung mit S. 466; anderer Meinung
BoRrNHAK, Preussisches Staatsrecht Bd. I S. 390 f.; STENeEL, Das Staatsrecht
des Königreichs Preussen $. 80; Schwartz a. a. O. S. 224B.