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scholastische Velleität sollte man doch kaum für möglich halten. Was liegt
denn daran, in welche „Lehre“ ein Rechtssatz „gehört“! Das Recht kann
doch nicht in der einen Lehre das Gegenteil von dem vorschreiben, was in
einer anderen Lehre vorgeschrieben ist; eine von beiden kann doch nur
praktisch gelten. Mit der Abschiebung der Sache auf die Gesetzesinter-
pretation ist es aber überhaupt nichts. Wenn in dem Gesetzblatt irrtümlich
statt einer Gefängnisstrafe von drei Jahren eine solche von fünf Jahren oder
statt einer Geldstrafe von 300 M. eine solche von 38000 M. gedruckt ist, so
kann man nicht durch Interpretation feststellen, dass fünf Jahre drei Jahre
und 3000 M. 300 M. bedeute. Das ist eben keine Interpretation mehr,
sondern eine Nichtbeachtung des gedruckten Gesetzestextes, weil er auf Irr-
tum beruht.
Der Verf. lässt sich aber durch seine Theorie zu einem noch schlimmeren
Abweg verleiten hinsichtlich der Berichtigung von Publikationsfehlern. Die
Berichtigung des Publikationsfehlers eines in Kraft getretenen Gesetzes hält
er für eine Abänderung geltenden Rechts und auch, wenn das fehler-
haft abgedruckte Gesetz noch nicht in Kraft getreten ist, „müsste die vacatio
legis vom Momente dieser Berichtigung an eigentlich von neuem zu laufen
beginnen* (!), da die Getzespublikation erst jetzt als perfekt anzusehen sei.
Er giebt jedoch zu, dass eine „konstante Verwaltungspraxis“ (!?) in ÖOester-
reich und im Deutschen Reich sich an diesen Satz nicht kehrt. Wenn die
Druckfehlerberichtigung in der That eine Abänderung des bestehenden Ge-
setzes wäre, so müsste sie durch ein formelles Gesetz erfolgen. Das ist eine
unausweichliche logische Konsequenz. Da dies in Wirklichkeit aber nicht
geschieht, so fingiert der Verf., um seine Theorie zu retten, ein „Gewohn-
heitsrecht“, auf Grund dessen die Gesetzblattredaktion unter allen Umständen
zur Vornahme der Berichtigung von Publikationsfehlern kompetent ist und
er erklärt die Druckfehlerberichtigung für eine Rechtsverordnung, zu
deren Erlass die Redaktion des Gesetzblattes gewohnheitsrechtlich befugt
sei (S. 239), und zwar ohne Beobachtung der für Rechtsverordnungen er-
forderlichen Form (S. 241). Man muss den Mut bewundern, mit welchem
der Verf. derartige Konstruktionen aufstellt, um seine Theorie den mit ihr
unvereinbaren Thatsachen gegenüber aufrecht zu erhalten, und diese Kon-
struktionen für „Gewohnheitsrecht“ ausgiebt.
Höchst sonderbar und völlig verfehlt ist endlich die Unterscheidung,
welche der Verf. zwischen Publikationsfehlern und Redaktionsfehlern macht.
Die Scheidewand zwischen beiden soll der Moment bilden, in welchem der
Akt der Gesetzesausfertigung vollzogen ist. Zu den Redaktionsfehlern rechnet
er daher die Willensunfähigkeit oder Irrtum des die Unterschrift erteilenden
Monarchen oder kontrasignierenden Ministers, mangelnde Zustimmung des
Parlaments u. dgl. Derartige Mängel des verfassungsmässigen Zustande-
kommens haben aber gar nichts zu thun mit der Redaktion des Gesetzes.
Ein Redaktionsfehler ist vorhanden, wenn der Wille des Gesetzgebers der